Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

Jetzt eine seltsame Wendung, die Hektor's nahen Untergang bestätigt. Er und Achill wissen, was ihnen vorsteht: wahrend Achill aber von diesen Ge­danken völlig beherrscht wird, sucht sich Hektar ihnen immer wieder zu ent­reißen. In den Momenten des neu erwachenden Vertrauens schüttelt er die trüben Ahnungen ab. Wir haben schon gesehen, wie Homer diese wechselnde Stimmung bei Hektar schildert. Auch jetzt bricht die ihm angeborene Lebens­gesundheit wieder durch. Er glaubt an ein siegreiches Ilion, an die Ver­treibung der Griechen und an eine lange friedliche Herrschaft über sein an­geborenes Königreich. Er ruft dem sterbenden Patroklos die letzten Worte zu:

Sage mir Böses voraus so viel du willst:

Wer weiß, ob nicht der Sohn der Thetis noch Unter meinem Speere das Leben aushaucht.

Damit stößt er den Leib des Patroklos mit dem Fuße von seiner Lanze ab und stürzt sich ans Automedon, Achill's Wagenlenker; den aber tragen die unsterblichen Renner davon.

Noch ein Wort über jene Stelle, wie Achill's Helm unter die Hufen der Pferde geräth. Ich habe sie nur im Auszuge gegeben. Voß mußte die zu­strömenden Worte Homer's, für die ihm die reale Anschauung fehlte, in un­bestimmte hochtönende Ausdrücke umwandeln. Das volle Verständniß dieser Verse wird Wohl für immer verloren sein. Wir empfinden, wie Achill's Helm, dem Erniedrigendes widerfuhr, für Homer und seine Zuhörer gleichsam ge­heiligte Existenz hatte, so daß sein Sturz ein großes Ereigniß war, das nicht kurz abgethan werden durfte. Daher diese Ausführlichkeit bei Homer, ja, gleichsam die Entschuldigung, von einem so adligen Waffenstücke so Beschämendes berichten zu müssen.

Beim zehnten Gesänge war dargelegt worden, worin Achill von den übrigen griechischen Fürsten sich unterscheidet. Er hat etwas Allgemeines, Elementares. Die kleinen Züge fehlen, aus denen das eigenthümliche Gepräge der Anderen entsteht. Daraus hin betrachtet gehört auch Patroklos zur Rasse des Achill. Seine Lebensaufgabe war, des Freundes Schatten zu sein. Jeden Gedanken, scheint es, hat Patroklos bis dahin mit ihm getheilt. Mit ihm hat er sich aus dem Kampfe zurückgezogen. Schweigend den Verhandlungen mit Agamemnon's Gesandten beigewohnt, auch, nachdem sie gegangen, kein Wort gesagt. Weder mit Odysseus noch mit Diomedes oder Aias oder den beiden Atriden sehen wir ihn persönlich sich berühren. Heute zum ersten Male handelt Patroklos für sich! Der nationale Gedanke läßt ihn gegen seinen Freund sich auflehnen und zu leidenschaftlichen Vorwürfen Hinreißen. Bemerken wir, wie gelassen und unerregt Achill seines Gefährten Worte anhört, und wie bald dieser selbst wieder aus eigenem Gefühle sich mäßigt.

Homer verleiht dem Patroklos, um ihn für die in der Ilias ihm zu- getheilte Rolle vollends geschickt zu machen, ein besonderes Schicksal, wie er bei Phönix gethan. Als Knabe hat Patroklos beim Knöchelspiel den Sohn des Amphidamas getödtet und ist von seinem Vater Menötios zu Peleus ge­bracht worden, der ihn mit Achill zusammen aufzog. Peleus ermahnt ihn beim Abzüge, als der Aeltere dem feurigen Achill mit mäßigendem Rathe zur