Heft 
(1894) 82
Seite
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Ter Tod des Patroklos.

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Seite zu stehen. Dies gibt Patroklos in seinem Wesen das Gebundene: er ist nur ein Beamter höchsten Ranges; auch darin, daß er die Waffen des Achill trägt und daß defsen Gespann ihn fährt, liegt symbolisch, daß feine Thaten mehr im Aufträge eines Gebieters vollbracht worden find, als daß sie vollem eigenem Heldenthume entflossen. Um so gewaltiger darf Homer Patroklos eingreifen lassen. Achill's unbesiegbare Waffen werden zu einem Theile feines Freundes.

So lange Patroklos auf dem Schlachtfelde waltet, verschwinden die übrigen Helden der Griechen beinahe. Wo Patroklos erscheint, geschieht das Entscheidende. Auf ihn richten sich die Blicke. Deshalb fein Umsturz ein Schlag, als ob die Sache der Griechen verloren sei.

Patroklos ist vornehmer als die anderen griechischen Vorkämpfer. Es klebt ihm keine Habsucht an, keine Grausamkeit, keine List, kein Neid, kein Uebermuth. Aber er hat auch keine Vorzüge, und deshalb, im Sinne der heutigen Kunst, vielleicht weniger Realität. Er wird nicht so sichtbar wie die Uebrigen. Er empfindet nur gut und menschlich, neben Achill seines Amtes waltend. Er erscheint im Kampfe wie ein Meteor, wirst blendendes Licht und verschwindet. Ein umfassendes Beiwort hat Homer für Patroklos, LiM?, sanft, milde. Somilde und so tapfer" legt er, als letzte Kritik, Zeus selbst in den Mund, als dieser den Verlust des Patroklos bedauert, und so auch wird Patroklos als Achill'smilder Genosse" von den Frauen beweint, als sie um seine Leiche die Klage erheben. Er war es gewesen, der die ge­fangene Königstochter Briseis mit gütigem Zuspruch einst getröstet.

Mit Patroklos zerreißt das letzte natürliche Band, das Achill an die Sache der Griechen fesselte. Von nun an steht er allein, und seine Versöhnung mit Agamemnon und was nachfolgt hat nichts Warmmenschliches mehr. Achill's nun plötzlich eintretende Nachgiebigkeit Agamemnon gegenüber ist nur Mittel zum Zwecke. Rächen will er den Freund und dann untergehen. Achill hat von Anfang an in seinen Gedanken mehr mit den Ueberirdischen als mit seinem Volke verkehrt. Von Patroklos' Tode ab geht er vollends wie ein aus dem Leben Verbannter umher.

Der siebzehnte Gesang schließt sich so genau dem sechzehnten an, als bildeten sie ein Ganzes. Auch haben beide scheinbar den gleichen Inhalt, da der Kampf um den Leichnam des Patroklos als die natürliche Fortsetzung seines Heldenthumes und Sturzes erscheint. Der wahre Inhalt des siebzehnten Gesanges aber ist das Heldenthum des Menelaos, dem der Dichter nun zu­gesteht, die ganze Fülle seiner Kraft wirken zu lassen. Wir werden sehen, unter welchen Beschränkungen diese höchste Entfaltung des Menelaos eintritt.

Atreus' Sohn Menelaos sah des Patroklos Sturz, und durch die vordersten Reihen der Kämpfenden Durch sich drängend, zu ihm, umging er ihn Wie die Kuh ihr erstes Kälbchen umschreitet,

Vor dem sie noch kein andres zur Welt gebracht hat.

Deutsche Rundschau. XXI, 6. 24