374 Deutsche Rundschau.
begünstigt wird. TragödienmLßig betrachtet, haben diese Begegnungen jedoch tiesere Bedeutung.
Hektor hatte — sahen wir — dem wehrlosen, kaum seiner selbst mächtigen Patroklos den Todesstoß gegeben. Die Waffen konnte er ihm nicht abnehmen, wie sich sonst von selber verstanden hätte, weil sie von Apollo's Schlag abgesprengt, schon auf dem Boden lagen. Hektor's Beutegier wird durch Patroklos' Gespann gereizt. Einmal schon hatte er es dem Dolon versprochen, zu dessen Unheil nun sieht er es unter Automedon's Führung davonjagen und eilt ihm nach. Da tritt, unter Gestalt eines Trojaners, Apollo ihm entgegen. Ob Hektor denn, auch wenn er das Gespann einhole, der unsterblichen Rosse jemals Herr zu werden glaube? Hektor hält inne. Um sich blickend gewahrt er, wie Menelaos die Waffen in Sicherheit zu bringen sucht. Auflodernd wie die Flamme des Hephästos — wir erinnern uns, wie in der Schmiede Kohlenfeuer plötzlich emporsprüht — stürzt Hektor mit Geschrei oft auf Menelaos los.
Und nun geschieht das für unsere Beurtheilung des Menelaos Entscheidende. Er thut, was wir ihm nicht vergeben können. Homer's Helden wissen genau, wie weit ihre Kraft reiche. Sie Weichen, wenn ein Stärkerer kommt. Dies verstand sich voir selbst. Aber wie dem auch sei, weder Ajax noch Odysseus, Diomedes, Jdomeneus, Nestor, und auch Agamemnon nicht, hätten in diesem Augenblicke den todten Patroklos dem Feinde überlassen. Sie wären lieber in ihr Verderben gegangen.
Homer läßt Menelaos mit sich selber reden. Das sicherste Mittel, das ein Dichter anwendet, um uns in die Gefühle eines seiner Geschöpfe einzuweihen.
Weh' mir, wenn ich die Rüstungen jetzt verliere!
Und den Patroklos, der für mich in den Tod ging!
Schelten würde mich Jeder, der es mit ansühe!
Aber, wenn ich allein nnd ohne Beistand,
Nnr weil die Scham mich hält, Hektor erwarte,
Und den Troern, die von allen Seiten Mich umdrängen — denn ganz Troja führt Hektor gegen mich Einzelnen — Stand jetzt hielte?
Doch wozu mich bedenken? — Wer mit dem Manne,
Den die Gottheit offenbarlich begünstigt,
Sich in Kampf einläßt, kämpft gegen die Gottheit Und des Unheils Walze geht über ihn hin!
Niemand wird mir's verdenken in der Armee,
Wenn ich dem gottbegünstigten Hektor weiche.
Wäre des Aias Schlachtruf nur vernehmbar!
Wir gewönnen, stände der mir zur Seite!
Nähmen Patroklos' Leichnam den Trojanern Siegreich ab, um Achill ihn hinzutragen!
Immer ein Vortheil noch bei allem Unheil!
„So macht Bedenken aus uns Allen Feige" läßt Shakespeare Hamlet sagen, wo es sich nicht um Erwägen, sondern um Zugreifen handelte. Menelaos ist weder kraftlos noch feige, aber er denkt, wo er vielmehr zuschlagen müßte.