Heft 
(1894) 82
Seite
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Der Tod des Patroklos.

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Dieser Monolog wiegt den des Hamlet auf. Zuerst denkt Menelaos an die Waffen! Der Standpunkt des Geschäftsmannes, der auch der seines Bruders und Compagnons war. Dann erst kommt Patroklos und die Ehre. Er er­innert sich, daß Patroklos für ihn gefallen sei. Der Leichnam und die Waffen, die Achill's! liegen vor ihm. Nun fällt ihm ein, was die Griechen sagen würden. All seine Skrupel aber beschwichtigt der Sah: wer Wider den streitet, den die Götter beschützen, hebt die Hand gegen die Götter selbst! Wie sehr das aber nur eine auswendig gelernte Ausrede war, an die Menelaos selbst nicht glaubte, läßt der nächstfolgende Gedanke erkennen: wäre Ajax nur da! dann möchten Götter, Götter sein. Und zuletzt seine Erwägung: wenn sie beide den Leichnam retteten, so würden sie ihn Achill darbringen und diesen vielleicht bewegen, in den Kampf wieder einzutreten.

Nur wenn wir Alles hinzunehmen, was wir sonst von Menelaos wissen, gewinnt dieser Monolog völlig niederschmetternde Wucht für ihn. Erinnern-Wir uns, dieser Abwesenheit von Heroismus gegenüber jener Scene, wie Odysseus in ähnlicher Verlassenheit, als alle Griechen in voller Flucht an ihm vorüber­stürmten, mit sich selbst zu Rathe gegangen war.

Weh' mir! Was erleb' ich! Welch' ein Verlust,

Wenn ich mit den Andern, von Furcht besiegt,

Jetzt den Muth verlöre! Furchtbarer noch,

Wenn ich, so ganz verlassen, gefangen würde!

Aber, wozu setzt denken? Eines weiß ich:

Feiglinge suchen ihr Heil in der Flucht: wer aber Zu den ersten Männern des Volkes sich rechnet,

Der halt aus in der Schlacht und steht seinen Mann,

Mag er nun treffen oder getroffen werden!

Wie viel leichter wäre für Odysseus damals der Entschluß gewesen, zu fliehen wie die Nebrigen. Es handelte sich um seine Person allein. Er hatte keinen Todten, keine Waffen zu vertheidigen. Sogar Diomedes, der sich mit den Göttern selbst in den Kampf eingelassen, ließ sich damals von der Panik mit sortreißen. Die Fragen, die Odysseus an sich stellte, waren rein theoretischer Natur. Hast du, der du den Kopf nicht verloren hast, das Recht, rückwärts zu gehen? Nein! Homer wußte, als er Menelaos' Monolog dichtete, genau, wie er Odysseus früher mit sich selbst hatte verhandeln lassen. Diese Stücke bedürfen einander zu gegenseitiger Erklärung. In einzelnen Worten stimmen sie überein. Odysseus steht aus der Höhe tragischer Empfindung, Menelaos' Monolog gehört in die Komödie: Homer legt eine erkennbare Dosis unfreiwilliger komischer Selbstcharakteristik hinein. Die Absichtlichkeit seines Verfahrens ist nicht zu verkennen. Die nach Menelaos' Flucht eintretende Vergleichung mit dem Löwen, welcher sich von den mit Stangen bewaffneten Hirten und dem Huudegebelle vertreiben läßt, hatte in der ursprünglichen Fassung der Ilias vielleicht sogar ebenfalls komischen Beigeschmack. Menelaos' Rückzug findet nämlich erst dann ein Ende, als er die Seinigen wiedererreicht hat, die früher bereits gewichen waren: Homer berichtet das mit einer ge­wissen kahlen Kürze, die mich auf den Gedanken bringt. Das wenigstens er-