Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

fahren wir, daß Menelaos, Waffen und Leichnam im Stiche lassend, sich zurück­zieht ehe Hektor und die Seinigen herangekommen sind*).

Jetzt tritt das ein, um dessentwillen der siebzehnte Gesang auchDie Schuld Hektor's" hätte betitelt werden können.

So großen Schrecken hatte Aias' Erscheinen Hektor eingeslößt, daß er bis mitten unter die Seinigen zurückwich. Da tritt ihm Glaukos, Sarpedon's Waffengesahrte, entgegen.

Glaukos gehört zu den Nebenpersonen ersten Ranges, von deren künst­lerischer Behandlung die Rede war. Auch davon sprach ich, daß Homer sie ohne Abschiedsscene verschwinden läßt. Dies Verfahren würde den Schein der Planlosigkeit tragen, versicherte uns nicht die bewußte Methode seiner An­wendung, daß der Dichter dabei von Principien ausging. Jeder neue Fall erlaubt diese Dinge noch einmal in Betracht zu ziehen. Homer läßt diese Nebenpersonen vor unseren Augen kein volles Schicksal durchlaufen. Es kommt im Leben vor, daß Leute von hoher innerer Bedeutung bei wichtigen Schicksals­entwicklungen zwar eingreisen, in ihrem eigenen Wesen aber Umschwünge dabei nicht erfahren. Thoas in Goethe's Iphigenie geht aus der Tragödie hinaus wie er eingetreten ist: für ihn hat sich in ihr nichts seinen Charakter Um­gestaltendes ereignet. Aber es können auch Leute ohne innere Bedeutung zu­fällig in wichtige Schicksalsentwicklungen mit hineingerissen werden. Würde z. B. in einer Schlacht Jemand ans dem Gefolge des Commandirenden zum Träger eines Befehls von diesem gemacht, den er mit so bewunderungswürdiger Kühnheit glücklich ausrichtete, daß vielleicht die Entscheidung des Tages davon abhinge, so könnte dieses Heldenstück zugleich doch vielleicht das Einzige bleiben, Was den Mann auszeichnete, ihm auch weder als Geist noch als Charakter übrigens eine höhere Stelle anweisen. In dieser doppelten Richtung läßt Homer diejenigen Personen, deren innerste Existenz für die Composition der Ilias nicht in Betracht kommt, nie völlig aus dem Schatten heraustreten, und auch wenn sie in Momenten noch so grelles Licht empfangen, spurlos wieder verschwinden. Sie erscheinen nur an der Stelle, wo ihre Dienste ver­langt werden.

H Doch ich bin geneigt, den Vergleich mit dem znrückweichenden Löwen nicht als hierher gehörig anzusehen. In demselben Gesänge wird spater nämlich (V. 650), als von der Ver- theidigung des todten Patroklos, den Menelaos ja bald wieder erreicht, zum zweiten Male ab­gestanden werden mußte, das gleiche Beispiel zum zweiten Male gebraucht. Jetzt wird das Bild mit mehr Worten ansgemalt und seine Heranziehung paßt besser. Um so mehr erscheint es hier nun am rechten Orte, als der Vergleich mit einem Löwen an der ersten Stelle sofort abermals angewandt wird. Von Aias aber. Aias nämlich trifft gleich nach Menelaos' Flucht mit diesem zusammen, und vereinigt suchen beide den Leichnam wieder zu erreichen. Die Rüstungen hat Hektor inzwischen freilich fortgeschafft, seine Absicht aber, dem Todten das Haupt von den Schultern zu schlagen, führt er nicht aus- In Aias den ihm Ueberlegenen erkennend, läßt er von dem Leichnam, den er eben heranzieht, alsbald die Hände sinken und weicht zurück. Aias stellt sich mit seinem breiten Schilde vor Patroklos hin, wie ein Löwe, der, seine Jungen durch den Wald führend, von Jägern angegriffen wird. Menelaos steht auf der anderen Seite des Todten, um ihn von hier beschützt zu halten.