Heft 
(1894) 82
Seite
385
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Aotanische Streiszüge an der Aiviera.

Von

Eduard Strasburger.

IX.

^Nachdruck untersagt^

Auf der Vigie de Peyssarin entfaltete sich vor uns ein Bild fo herrlich, wie wir es kaum je gesehen. Der Eindruck, den wir empfingen, war erhaben und lieblich zugleich, malerisch und von mächtiger Wirkung. Wahrend vom Mont Vinaigre aus unser Auge erst in der Ferne über grüne Berge das Meer erreichen konnte, hatten wir hier die blauen Fluthen zu unseren Füßen. Die rothen Porphyrfelsen stürzen sich von dieser Stelle ganz unvermittelt in die tiefe See. Sie setzen sich in dieselbe fort mit Zacken und Riffen, schneiden ein in die Wellen mit scharfem Grat, unterwühlen sie mit ausgehöhlten Mulden, tauchen dann wieder aus dem Meere, wie steinerne Riesen, empor. Das Wasser nimmt violette Töne an auf dem purpurnen Grunde: es scheint flüssiger Amethyst zu sein in einem Becken von Rosso antico. Um uns herum glühen die Felsen in Hellem Sonnenschein. Gelbe Anflüge, von Flechten erzeugt, tönen das satte Roth ab in unzähligen Schattirungen. Gegen diesen Vorder­grund hebt sich die Ferne mit ganz eigenem Colorit ab; man wird völlig berauscht von dieser Pracht, sie klingt einem wie Musik in der Seele. Zu­nächst beachtet man kaum die Form der Gegenstände und läßt nur ihre Farben aus sich wirken: wie sich die Töne mischen und wie sie einander durchdringen, wie sie hier verschmelzen, dort in effectvollem Contrast von einander absetzen. Wie wunderbar glüht dieser braunrothe Coloß auf dem blauen Hintergründe des Meeres, das hoch hinter ihm am Horizonte aus­zusteigen scheint! Wie hebt sich dieser andere Porphyrfelsen von dem perl­grauen Grunde der Alpen ab; dort springen wieder rothe Zacken vor gegen den blendend Weißen Schnee und erscheinen wie Rubinen, gefaßt in ein Band von Silber. Unten aber schillert am Strande das blaue Meer in purpuruen Tönen aus dem rothen Grunde; dort spiegelt es die Sonne Wider und strahlt unermeßliches Licht zurück. Ein mächtiger Fels im Westen, deckt uns das Thal von Fräjus, hinter ihm thürmt sich das Maurengebirge in sammet-

Deutsche Rundschau. XXI, 6. 25