Heft 
(1894) 82
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Deutsche Rundschau.

die das Gefühl des Glückes in der menschlichen Seele erwecken. Kein Luftzug bewegte die Blätter der Bäume. Im See von Villepey spiegelten sich dunkle,, goldnmstrahlte Wolken. Durch unser Nahen aufgeschreckte Vögel flohen aus dem Dickicht des Ufers empor. Sie stiegen in die Lüfte und schienen schwarze Furchen zu ziehen am Hellen Abendhimmel. Die Wolken im Westen nahmen Purpurfarben an und in ihrem Widerschein röthete sich auch der See. Er sah jetzt unheimlich aus, wie eine Lache von Blut; das dunkle Dickicht aus Rohr umfaßte ihn mit schwarzem Trauerrand. Wir setzten unseren Weg fort zum Strande. Bald stand der Westen in voller Gluth, und das Maurett­gebirge glich einem Riesen in der Feuersbrunst. Die Bäume des Waldes zeichneten sich schwarz aus Hellem Grund, als wäre ihr Umriß mit Kohle ge­zogen. Allmälig verblaßte der Himmel. Auf den spiegelnden Wellen des Meeres begannen sich die Weißen Strahlen der ersten Sterne mit dem rothen Abglanz der letzten Abendlichter zu mischen. Als wir den Strand erreichten, war es bereits so dunkel, daß wir den Umrissen des Meeres nicht mehr folgen konnten. Der Himmel sprühte von Sternen und schien auch ungezählte Lichter im Meere auszusäen. Eine klare, belebende Luft zog von der See herüber. Wir empfanden ihre Reinheit und athmeten sie mit voller Brust. Dann lauschten wir dem Stöhnen und Rollen der Brandung und srugen uns, warum es ewig klagt und grollt, dieses länderumspülende Meer; ist es der Schmerz über all' das Leid, das sich an seinen Ufern zugetragen? Ist doch auch dieser Ort nach jenem Heiligen benannt, der auf den Vermischen Inseln gemartert wurde. Manchmal glaubten wir nahende Schritte zu hören; doch nein, es war nur ein reifer Kieferzapfen, der vom Baum zu Boden fiel, oder eine größere Welle, die sich über das User ergoß und zischend dem Meer wieder zueilte. Die silberne Mondsichel, ganz schmal, tauchte hinab in die Bäume. Starr leuchteten uns von Osten her die Leuchtthürme von St. Raphabl und von Drammont entgegen; der von Camarat im Westen stammte auf und nieder: es war, als öffnete und schlösse er abwechselnd sein großes Feuerauge. Im Meere tauchten Barken auf in gelbem Fackelschein. Das waren Fischer, welche mit Feuer die Fische in die Netze lockten. Die flackernden Flammen warfen lange zitternde Streifen auf die Wellen. Plötzlich tauchte dicht vor unseren Augen, gespensterhaft groß, eine riesige Barke auf, mit ausgespannten Segeln. Sie deckte uns die Sterne und warf einen schwarzen Fleck über den funkelnden Himmel. Eben so rasch, wie sie kam, war sie auch verschwunden, lautlos, un­vermittelt, wie ein Geisterschiff.

XI.

Am nächsten Tag befanden wir uns schon östlich vom Esterel und fuhren dort mit der Bahn in sanftem Ausstieg dem Norden zu. Der Weg führte im Thal der Siagne an Feldern von Rosen und Jonquillen, von Veilchen und von Jasmin vorbei; dann folgte er wieder grauen Olivenhainen. So erreichten wir Grasse, eine Stadt in mittelalterlichem Gewände. Sie klettert empor an den letzten Ausläufern der Alpen. In Windungen führen die Straßen in die Höhe; steile Treppen kürzen die Wege ab, Gewölbpfeiler verbinden in engen Gassen die