Heft 
(1894) 82
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Botanische Streifzüge an der Riviera.

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gegenüberliegenden Häuser, damit sie den steilen Abhang nicht abwärts gleiten. Es drängen sich in solchen Gassen die Menschen an einander vorbei; stellen­weise stockt der Verkehr. Der moderne Inhalt der Schaufenster an den Läden paßt nicht zu der alten Umrahmung. Manchem Hausgang entweicht ein fettiger Dampf, gewürzt mit Zwiebel und Knoblauch. Da gibt es Frittüren, unverfälschte mediterrane Wohlgerüche. Doch mit jenem Oelduft mischt sich anderes durchdringendes Parfüm, das an freieren Orten allein zur Geltung gelangt; es kommt vom Santelholz, das aufgeschichtet in den Parfümfabriken liegt. Seine Verarbeitung hat jetzt begonnen. Wir finden Graste nicht schön, und auch der Ausblick von seinen Plätzen und Gärten in das ferne Meer entzückt uns nicht. Bilden doch den Vordergrund jenseits der Hügel steise und nüchterne Kasernen, die jedes ästhetische Empfinden stören. Doch anmuthig ist das Bild auf Graste selbst, vom Garten des Grand Hotel, den man auf der neuen Avenue Thiers, oberhalb der Stadt, in zwanzig Minuten erreicht. Die Agaven und Palmen des Gartens rahmen da die alte Stadt in wirksamer Weise ein; sie verdecken die unschönen neuen Gebäude und zeigen nur die eckigen alten Thürme und Häuser, die sich über und durch einander an den Abhang drängen. Das, was uns nach Graste geführt hatte, war auch nicht die Hoffnung, die zuvor empfangenen Eindrücke zu steigern, vielmehr der Wunsch, einen Einblick in die hier blühende Parfümherstellung zu gewinnen. Seit mehr als hundertnndfünfzig Jahren ist Graste in dieser Richtung berühmt, und weiter noch reichen ihre Erfolge auf diesem Gebiete zurück; man zeigt uns das Haus, in welchem ein Sieur Tombarelli aus Florenz schon in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts ein Laboratorium für Parfümerien eingerichtet hatte. Heute ist Graste zu einem der Hauptorte europäischer Parfümfabrication geworden. Es stellt aber nicht die fertigen Parfüms her, so wie sie schließlich als sogenannteBouquets" zur Verwendung kommen, sondern die ersten Erzeugnisse für dieselben. Aus diesen einfachen Bestand- theilen mischen die eigentlichen Parfümisten erst jene verschiedenen Bouquets zusammen, wie sie eben die Mode vorschreibt oder der Geschmack der Zeit ver­langt. Graste entnimmt ihre Wohlgerüche fast ausschließlich dem Pflanzenreich. Tatsächlich sind auch die meisten natürlichen Parfüms pflanzlichen Ursprungs, nur Moschus, Ambra, Bibergeil und Zibeth entstammen dem Thierreich. Neuerdings beginnt jedoch die chemische Industrie wirksam in das Parfüm­geschäft einzugreifen, indem sie die wohlriechenden Stoffe in chemisch reinem Zustand darstellt. Im Besonderen ist es gelungen, das Cumarin, jenen Stoff, der den Geruch des frischen Heues bestimmt, aus Salicylaldehyd zu erzeugen. Das Verfahren ist ziemlich umständlich, der aromatisch riechende Körper, den man in farblosen, glänzenden Krystallen erhält, aber durchaus übereinstimmend mit demjenigen, den man früher aus den Tonkabohnen gewann, dem Samen des Tonkabaumes (viptsrix oäorata), welcher in den Waldungen von Guyana heimisch ist. Mit etwa zwanzig Gramm künstlichen Cumarins erreicht man heute in der Parfümerie ebenso viel, wie mit einem Kilogramm Tonka­bohnen. Ebenso verhält es sich mit dem natürlichen Wintergrünöl, das aus dem nordamerikanischen, zu den Haidengewächsen gehörenden Theebeerenstrauch