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Deutsche Rundschau.
gründe fehlschlagen, so nimmt man doch gewöhnlich zum letzten Vernunftmittel, der ultima ratio rsgum, seine Zuflucht, nämlich Pulver und Blei.
Ein Versuch also, die Vertreter der hauptsächlichsten Religionen zu einer friedlichen Versammlung einzuladen, sie aufzufordern, jeder seine eigene Religion in ihren besten Zügen zu schildern, war jedenfalls etwas Neues. Dies geschah zu Chicago im Jahre 1893, zur Zeit, als man die riesigen Vorbereitungen zu der Ookumdian Oxkndition machte. Der Gedanke regte sich, daß man bei einer Weltausstellung nicht nur die Erzeugnisse der Industrie und der technischen Künste, sondern auch die höchsten Errungenschaften des Geistes, der Wissenschaft und der freien Künste vereinigen sollte. Die Werke des Geistes sollten neben den Werken der Hände ihre rechtmäßige Stelle finden, und so geschah es, daß man außer den Vertretern der Industrie, der Wissenschaft und der Künste auch die Vertreter der großen Religionen nach Chicago einlud.
Ich kann aufrichtig sagen, daß ich kaum Etwas in meinem Leben mehr bereut habe, als daß ich der an mich gerichteten Einladung nicht Folge leistete. Ich war tief in meinen Arbeiten, fühlte mich nicht ganz Wohl und schließlich hatte ich keine Idee, was dieses sogenannte Religions-Parlament sein und leisten sollte. Wer konnte es auch vorhersehen? Wer konnte es wissen, welche Religionen die Einladung annehmen würden und was für wirklich berechtigte Vertreter sie schicken könnten. Wer konnte glauben, daß, was in dem Programm als ein Nebenzweig der großen Ausstellung (an auxiliarv braue!,) bezeichnet wurde, schließlich der Haupt- und Mittelpunkt der ganzen Ausstellung, das größte Ereigniß des ganzen Jahres, ja, ich sage es kühn, eine der wichtigsten Thatsachen in der ganzen Weltgeschichte werden sollte.
Hatten Wohl die, denen das Verdienst zukommt, dieses wahrhaft ökumenische Concil versammelt zu haben, ich meine Präsident Bonney und I)r. Barrows, hatten sie selbst eine klare Idee von dem, was sie wollten? Hätten sie diese Idee einfach und unumwunden ausgesprochen, so hätte Jeder, dem die Zukunft der Menschheit, dem die Religion am Herzen liegt, sich aufmachen und nach Chicago pilgern müssen. Mir schien es, als ob es sich um eine bloße Schaustellung handele, und daß in Chicago weder die Zeit noch der Ort für ernste Verhandlungen sein könne. Statt einer bloßen Schaustellung ist es aber eine Wirklichkeit geworden, die aus lange Jahre sich fühlbar machen und die unvergeßlich bleiben Wird, wenn alles klebrige von der Oolumbian Oxknbitiou der Vergessenheit verfallen ist.
Es scheint, als ob die geniale Idee einer großen Religionsausstellung, wie so manche andere geniale Idee, sich zu etwas weit Größerem entwickelt hat, als was ihre eigenen Urheber ahnen konnten. Ja, mir scheint es, als ob man selbst in Amerika, wo die Kunst der Bewunderung und die Kunst, der Bewunderung aus ganzem vollen Herzen Ausdruck zu geben, noch nicht ausgestorben, die Größe dessen, was man vollbracht, noch nicht vollständig ermessen hat. In anderen Ländern und, wie es scheint, selbst in Deutschland, hat man nur schwache Kunde von den Dingen, die in Chicago vorgegangen, durch die öffentlichen Blätter erhalten. In England schien es, als ob man von Anfang an dieses ganze Unternehmen hätte todtschweigen wollen. Die großen Organe der