Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

Browning hat in diesen Zeilen seiner Vision von einer Vereinigung aller Religionen dichterischen Ausdruck gegeben. Leider sollte er nicht leben, um was er geträumt im Tageslicht zu sehen. Seine vielen Bewunderer in Amerika können aber stolz darauf sein, daß sie Browning's Traum verwirklicht, Brow- ning's Hoffnung erfüllt haben. Jetzt gilt es, mit aller Macht daran zu arbeiten, daß die Wirklichkeit nicht wieder zum Traum werde, daß das, was unter seiner Führung gewonnen ist, nicht wieder verloren gehe.

Womit hat man denn nun das Religions-Parlament in Chicago gemeint vergleichen zu können? Zuerst mit dem Concil des berühmten buddhistischen Königs Asoka im dritten Jahrhundert vor Christi Geburt. Das heißt denn doch sich eine große Freiheit mit den Thatsachen der Geschichte erlauben. Asoka war gewiß ein aufgeklärter Fürst, der religiöse Duldung besser gepredigt und geübt hat, als irgend ein Fürst vor oder nach ihm. Mir fällt es am wenigsten ein, seinen Ruhm bekritteln zu wollen. Aber vergesse man doch nicht, im heiligen Eifer zu beweisen, daß Alles schon dagewesen, wie bei dem Concil zu Pataliputra im Jahr 242 vor Christi Geburt Alle dabei Be­theiligten zu einer und derselben Religion gehörten, zur Religion von Buddha, die allerdings schon im dritten Jahrhundert in viele Secten zersplittert war, aber die doch immer nur als eine Religion galt. Wir hören nichts davon, daß irgend welche nicht-buddhistische Secten, z. B. Jainas, Ajivikas oder Vedische Brahmanen bei diesem Concil zugegen waren, so daß dort von einer Vergleichung verschiedener Religionen, oder gar von einer Ausgleichung ihrer Differenzen, natürlich keine Rede sein konnte.

Noch unpassender ist es, das Concil von Chicago mit dem von Nicäa vergleichen zu wollen. Dieses Concil gilt freilich als ein öcumenisches, aber was war Wohl die sogenannte die bewohnte Erde, im Jahre 325

vor Christi Geburt in Vergleich mit der bewohnten Erde, wie sie in Chicago repräsentirt war? Und Niemand wird sagen, daß es der Zweck des Concils von Nicäa war, eine brüderliche Hand nach andern nicht-christlichen Religionen auszustrecken. Was die Veranstalter dieses Concils beabsichtigten, war etwas ganz Anderes, nämlich die Grenzen christlicher Liebe und Duldung enger und enger zusammen zu ziehen, indem man sogar die Arianer, die Anhänger des bisher als orthodox geltenden Arius, aus dem Verband der christlichen Kirche ausstieß. Erst jetzt sängt man an, einzusehen, wie sehr sich die Kirche damals durch den Verlust vieler ihrer ehrlichsten und aufgeklärtesten Anhänger ge­schädigt hat. Es gibt jetzt wenige historisch gebildete Christen, welche die Arianische Ausfassung der Person Christi nicht für die wahre und würdigere halten, vorausgesetzt, daß man die Bedeutung des so auffaßt,

wie es Clemens und Origenes thaten, geistig, nicht physiologisch. Was sodann das Gebühren der Bischöfe zu Nicäa betrifft, so würden die Mitglieder des Concils von Chicago sich wenig geschmeichelt fühlen, mit ihnen verglichen zu Werden.

Noch eine dritte religiöse Versammlung hat man herbeigezogen als einen Präcedenzfall der Versammlung zu Chicago, nämlich die, welche am Hofe des Kaisers Akbar (15421605) stattfand. Nun der Geist, der in der Brust von