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Deutsche Rundschau.
Christen als die reformirten? Und ist denn das, was beiden gemeinsam ist, nicht tausendmal mehr Werth als die kleinen Wahrheiten und Unwahrheiten, über welche Priester und Pastoren sich streiten und womit sie ganz Deutschland in zwei feindliche Lager zerklüftet haben?
Noch deutlicher trat die Zeitgemäßheit des Religionsparlaments nach Abschluß desselben zu Tage. Nicht nur, daß von allen Seiten sich Stimmen hören ließen, welche dem in Chicago gemachten Experiment ihren vollen Beifall zollten, man schien sogar erstaunt, daß ein solcher Versuch nicht schon viel früher gemacht worden sei. Und doch bezweifle ich, ob die Welt wirklich zu einer viel früheren Zeit ganz reis für ein solches Unternehmen gewesen wäre. Denn obgleich es nicht an Fürsprechern für Union in engeren und weiteren Kreisen gefehlt hat, so müssen wir doch nicht vergessen, daß man vor nicht so langer Zeit in der englischen Kirche feierlich für Juden, Türken und Ungläubige betete und sie sammt und sonders für Kinder Belial's erklärte. Mohammed galt als der Erzfeind des Christenthums, die Bewohner Indiens waren Götzendiener der schlimmsten Sorte, alle Buddhisten waren Atheisten und selbst die Parsis nur verblendete Feueranbeter.
Wenn früher meist die Missionäre für diese unliebsamen Beschuldigungen verantwortlich waren, so muß man es ihnen zum Lobe nachsagen, daß sie es waren, die, namentlich in jüngster Zeit, zuerst die guten Elemente in den fremden Religionen erkannten und anerkannten. Sie konnten nicht umhin zu gestehen, daß es in Indien, ja selbst in Afrika, Menschen gäbe, die, obgleich sie sich nicht zum Christenthum bekehrt, ein Leben führten, dessen sich kein Christ zu schämen brauchte. Dazu kam das mehr und mehr Mode gewordene Reisen in fremden Ländern, wo man, namentlich bei längerem Aufenthalt, nicht umhin konnte, den guten Einstuß zu beobachten, den selbst weniger vollkommene Religionen auf den moralischen, intellectuellen und politischen Zustand des Volkes ausüben. Noch vor Kurzem las ich die Beschreibung einer Reise um die Welt von Mrs. Gordon, die mit den stärksten Vorurtheilen gegen alle heidnischen Religionen von England abreiste, nachdem sie aber das religiöse und moralische Leben in fremden Ländern, in Japan und Indien, mit eigenen Augen beobachtet hatte, mit der wohlwollendsten Anerkennung der Vorzüge dieser Religionen zurückkehrte.
Nichts aber, wenn mich meine eigenen väterlichen Gefühle nicht täuschen, hat mächtiger dazu beigetragen, Toleranz, ja Anerkennung für andere Religionen hervorzurufen, als die Veröffentlichung der „Heiligen Bücher des Ostens" (Laereck Looks ot tbo Last), welche die letzten zwanzig Jahre meines Lebens erfüllt haben. Die besten Jahre meines Lebens waren der Herausgabe des Lig' Vocka, der Bibel der Brahmanen, des ältesten Buches der arischen, wenn nicht der ganzen Menschheit gewidmet. Nachdem ich Text und Commentar dieses früher noch nie herausgegebenen Werkes in sechs Quartanten vollendet hatte, sah ich, wie wenig dadurch der Zweck meines Lebens, die Verbreitung der Kenntniß der Religionen der alten Welt, erreicht sei. Das Leben ging aus die Neige, ich verband mich also mit einigen Freunden und Studiengenossen, um eine Uebersetzung der wichtigsten heiligen Bücher der ganzen