Heft 
(1894) 82
Seite
422
Einzelbild herunterladen

422

Deutsche Rundschau.

er sich auch bekannte, der nicht seine Religion zu Anfang wie zu Ende des Parlaments für die beste von allen Religionen hielt, ohne in diesem Glauben erschüttert zu werden, selbst wenn er einige schwache Seiten in derselben nicht in Abrede stellen konnte. Die Hauptsache war, daß Jeder trotzdem bereit schien, das Gute in andern Religionen zu erkennen, und daß man die Anders­gläubigen nicht rundweg als Ungläubige behandelte. Man sah das Gute in andern Religionen, und wenn man es gesehen, so bemühte man sich, dasselbe oder etwas Aehnliches in seiner eigenen nachznweisen. Ein alter Rabbi desi- nirte einmal die Religion mit den Worten.Sei gut, mein Junge, um Gottes willen", und welche Religion würde nicht etwas Aehnliches ans- zuweisen haben! Ein anderer Rabbi erklärte, daß das ganze Gesetz und die Propheten in den zwei Geboten hangen: Gott zu lieben und den Nächsten zu lieben. Und es ist bekannt, daß dieselbe Lehre säst in jeder Religion ent­halten ist. Siehe M. M.,Theosophie", S. 9, in der bald erscheinenden deutschen Uebersetzung von vr. Winternitz.

Es ist zu bedauern, daß bei dem Parlament in Chicago diese Ueber- einstimmungen zwischen den Religionen der Menschheit, den alten wie den neuen, nicht noch mehr betont und sormulirt wurden. Wäre Jemand auf­gestanden und hätte die Hanptlehren des Christenthums oder des Islams oder des Buddhismus kurz vorgetragen und hätte dann die Mitglieder der anderen Religionen anfgefordert, zu antworten, ob sie von ihrem Stand­punkte aus Ja oder Nein sagten, so würde man sich verwundert haben, wie viele Ja, wie wenige Nein ausgesprochen worden wären. Dies wäre eine Thatsache von unermeßlicher Tragweite gewesen, aber freilich gehörten dazu Männer, die mit ihren eigenen heiligen Büchern vertraut waren, und für jedes Ja oder Nein ihre Beweisstellen ansühren konnten. Und hier stoßen wir aus den einzigen schwachen Punkt, der mir, und gewiß auch Anderen, bei der Lektüre derRransaetions ok tüs UarUament ok Religion^ ausgefallen ist. Blanche der Männer, die im Namen des Buddhismus, des Brahmanismus, des Parsismus, ja selbst des Christenthums sprachen, stellten Behauptungen auf, welche sie schwerlich ans ihren Bibeln hätten belegen können. Dies war vielleicht schwer zu vermeiden, denn es stand jedem An­hänger einer Religion, der gerade zugegen war, frei, im Namen von Millionen zu sprechen, und wenn der Sprecher nun gar ein Würdenträger in seiner Kirche, ein Bischof oder Erzbischof war, so wäre es kaum höflich gewesen, ihn aufzufordern, Vers und Kapitel für seine Behauptungen anzusühren. Wie wenig das Publicum geeignet oder geneigt war, sich kritisch zu verhalten, zeigte sich als Dharmapäla, ein Buddhist, die Anwesenden fragte, wie Viele davon Wohl das Leben Buddha's gelesen hätten? Fünf Hände erhoben sich unter den Tausenden von Anwesenden, und das Erstaunen war groß. Was würde aber Wohl Dharmapäla selbst gesagt haben, wenn man ihn gefragt, welches Leben von Buddha er denn gelesen habe, und er höchstens den lmlita vistara oder den Lucictlm-elmrita hätte nennen können, die uns Wohl die gewöhnlichen Legenden in hergebrachter Schablone, aber sehr wenig von dem wirklichen Leben und Denken des Prinzen von Kapilavastn erzählen.