Uns Kart Inedrich Venchard's Leben.
Von
Wilhelm Lang.
Um Hofe König Jerome'sH.
(1808—1813.)
I.
(Nachdruck untersagt.^
Durch Schicksal und Pflicht an Frankreich gefesselt, durch Geburt und Neigung Deutschland angehörig, sah sich Reinhard als Gesandter am west- sälischen Königshos aus einen Posten gestellt, der einflußreicher und verantwortungsvoller war als irgend einer, den er in seiner bisherigen Laufbahn bekleidet hatte. Er selbst empfand es, daß diese Stellung ebenso ein unerwartetes Geschenk war, als ein Verhängniß. Für seinen persönlichen und seinen politischen Charakter ist hier die entscheidende Probe. Er hatte bisher sein Gelöbniß durchzuführen versucht, ein treuer Diener Frankreichs zu sein und gleichzeitig ein guter Deutscher zu bleiben: für den Vertreter Frankreichs bei einer der willkürlichen Schöpfungen der fremden Gewaltherrschaft im Herzen Deutschlands, für den Vertrauensmann Napoleon's am Hofe König Jerome's, war dies eine fast übermenschliche Ausgabe. Wird er die scharfe Linie einhalten können, jenseits deren er fürchten mußte, entweder den Beifall seines Auftraggebers oder die Achtung seiner Landsleute zu verlieren?
An nichts, im ganzen Laufe unserer Geschichte, hat sich ein so übles Ge- dächtniß geheftet, als an das Königreich Westfalen und seine sechsjährige Leidensgeschichte. Wer da die Hand mit im Spiele hatte, an dem scheint auch ein Theil der Verwünschungen zu haften, mit denen diese Schöpfung des Kaisers sich belud. Daß Reinhard im Stande war, dem Unterdrücker Deutschlands gerade an dieser Stelle zu dienen, hat die schärfsten Urtheile über seinen Charakter herausgesordert. Ernst Moritz Arndt nannte in den „Erinnerungen aus dem äußeren Leben" Reinhard den deutschen Apostaten, den willigen Schergen des Mannes, der sein deutsches Vaterland schändete, und heftig ließ
i) Vergl. Deutsche Rundschau, 1891, Bd. I^XIX, S. 271 ff. und S. 328 ff.