Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.
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er sich darüber aus, daß man diesen Renegaten einen Warner, Helser und Beschützer der Deutschen, ja einen edlen Deutschen, einen deutschen Mäcenas und Musageten nennen konnte. Doch diese günstigen und lobpreisenden Ur- theile, die Arndt's patriotischen Zorn erweckten, rührten von nicht minder dentschgesinnten Männern her, von Zeitgenossen, die Reinhard persönlich kannten und ihm gerade in diesen Jahren nahe standen. Wenn es unzweifelhaft ist, daß er die Zufriedenheit des französischen Kaisers sich erwarb und, einzelne Fälle abgerechnet, in dessen Gunst sich behauptete, so ist nicht minder wahr, daß er ans seinem westfälischen Posten die Achtung und das Vertrauen seiner deutschgesinnten Freunde bewahrt hat. Heute liegt dem Biographen ein reiches urkundliches Material vor, das die Thätigkeit des Gesandten von seinem Amtsantritt bis zum Ausgang des Königreichs Westfalen verfolgen läßt, und über seine Gesinnung, wie über die Grenzen, innerhalb deren er sie bethätigen konnte, hinreichend Licht verbreitet.
An Wichtigkeit stehen vorm: die amtlichen und vertraulichen Berichte, die Reinhard nach Paris geschrieben hat. Diese Berichte, wie sie in den Denkwürdigkeiten des Königs Jerome und in dem Buch von du Casse über die drei Brüder Napoleon's veröffentlicht sind, geben fast von Tag zu Tag ein wahrheitsgetreues Gemälde der Zustände im Königreich. Ihre Unparteilichkeit ist auch von der Seite anerkannt, die am meisten Ursache hatte, das scharfe Licht zu scheuen, das durch sie auf die Ereignisse an König Jerome's Hof geworfen wurde. „Man wußte Wohl," so heißt es in den Denkwürdigkeiten des Königs, „daß Reinhard's Sendung nicht die eines gewöhnlichen Gesandten war, sondern daß sie einen besonderen Zweck hatte, nämlich eine Art Ueber- wachung und Controle über das neue Königreich auszuüben, eine Thätigkeit, die kaum vor den Pforten des königlichen Palastes Halt machte. Das war eine heikle Stellung für den französischen Diplomaten, um so mehr, als sich leicht denken ließ, daß der westfälische Hof den Charakter der Sendung Reinhard's errathen und in Folge dessen auf der Hut gegen den Vertreter des Kaisers sein werde." Dem westfälischen Hof hat es nicht angenehm sein können, einer solchen Oberaufsicht sich unterstellt zu wissen. Dennoch ist von Reinhard's Berichten in dieser Publication stets mit Achtung die Rede; sie werden einmal kleinlich bis zum Klatsch, aber in demselben Athem ehrlich und wahrhaftig genannt, sehr im Unterschied von den übelwollenden Berichten des französischen Staatsraths Jollivet, der vor Reinhard und auch neben ihm eine Art Späherdienst für Paris zu besorgen hatte, über den sich Jerome wiederholt in starken Ausdrücken beschwerte.
Diese Berichterstattung, zuweilen zu Denkschriften anschwellend, ist Reinhard's Beruf. Doch neben den Berufsgeschästen ist es ihm Bedürfniß, den vertrauten Verkehr mit Freunden zu pflegen, in diesen Jahren mehr denn je. Häufig sind gerade in der Casseler Zeit die Briefe an Goethe, an Villers, auch an die Hamburger Verwandten. Sie lassen uns in die andere Welt blicken, in der Reinhard lebte, wenn er das Staatskleid ausgezogen hatte und sich selbst gehörte. Vor Allem ist es Goethe's poetische Production in diesen Jahren, die er mit der Theilnahme eines Kenners und eines persönlichen