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Deutsche Rundschau.
Freundes verfolgt. Auch für die Farbenlehre zu wirken findet sich immer wieder Gelegenheit. Und ein neues bedeutsames Verhältnis knüpft sich an, als Reinhard sich zum Mittelsmann für Sulpiz Boisser6e macht, der mit feinen altdeutschen Kunstschätzen und Kunftplänen das Ohr des alten Herrn in Weimar und seine Gunst zu gewinnen trachtet. An vertrauten Aeußerungen, die sich auf die öffentlichen Dinge beziehen, find freilich diese Briefe arm. Vorsicht und Schweigsamkeit empfahlen sich aus triftigen Gründen. Wie das ganze Hof- und Staatswefen unter der Aufsicht Reinhard's stand, so war er selbst wieder Gegenstand des Mißtrauens und heimlicher Aufpasserei. Er war darauf gefaßt, daß Briefe, die er schrieb und die er empfing, von der hohen Polizei gelesen würden. Er nennt es ein Lottospiel, ob seine Briefe in Weimar ankommen. Wo möglich vermeidet er denn auch den Weg der Post und zieht besondere Gelegenheiten für die Beförderung feiner Briefe vor. Doch werden sie darum nicht viel gesprächiger. Die Feder des Diplomaten gewöhnte sich an dieselbe Zurückhaltung, durch die sein Mund schon lange berühmt war.
Wird man daher in den Briefen ein argloses Sichgehenlassen und vertraute Aussprache wenigstens über die öffentlichen Dinge vermissen, so bieten dafür einigen Ersatz die Mittheilungen von Anderen, die den Reinhard dieser Jahre aus flüchtiger oder näherer Kenntniß geschildert haben. Hier stehen obenan die Erinnerungen eines Freundes, den Reinhard in Cassel gewann, des Hosraths vr. Richard Maria Harnier, seines Hausarztes H. Harnier war von entschieden deutscher Gesinnung, von der er Reinhard gegenüber kein Hehl machte und kein Hehl zu machen brauchte. Seine Erzählung bestätigt das Zeugniß von Steffens, daß Reinhard, innerhalb der Grenzen seines Amtes, als „Beschützer deutschen Wesens, als Anwalt der Menschlichkeit, als Hort der Bedrängten" den Deutschen sich Werth gemacht habe. Immer wieder, erzählt er, wurde Reinhard's Vermittlung und Fürsprache angernfen, um einer unerbittlichen Strenge entgegenzuwirken, wenn z. B. hessische Jünglinge, die westfälischen Fahnen hassend, sich gegen die Kriegsartikel vergangen hatten. Dafür lud er den stillen und lauten Haß der zahlreichen Höflinge und Glücksritter aus sich, die er übrigens selbst im Sinne seiner amtlichen Obliegenheiten mit Nachdruck bekämpfen mußte. Sie rächten sich, indem sie ihn als das wahre Haupt der deutschen Partei beim Kaiser anzuschwärzen suchten. Doch was die Späher der hohen Polizei über Reinhard an den König oder nach Paris berichteten, das erfuhr er regelmäßig durch ein ihm ergebenes Mitglied eben dieser Polizei. Und der Kaiser, der die Zuverlässigkeit seines Gesandten zu schätzen wußte und die Triebfedern seiner Gegner kannte, hielt ihn aufrecht- so daß Reinhard, wie Harnier sagt, „sich keinen Augenblick in der großartigen Zuversicht seiner Handlungsweise irren ließ." Reinhard selbst hat viele Jahre später gegen seinen Freund Wessenberg das stolze Wort geäußert, daß selbst jener Gewaltige, der Individualitäten so selten anerkannte, am Ende sein Recht gelten ließ, zu sein wie er War.
U In Bran's „Minerva", Mai 1838.