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Deutsche Rundschau.
Reinhard eine Zweideutigkeit andichten, die schlecht mit seinem Charakter stimmt. Dem Vertrauen, das der Kaiser in ihn setzte, hätte er übel gelohnt. In dieser Zeit ist aber Reinhard, so wenig Person und Politik des Kaisers nach seinem Sinne waren, wirklich dankbar und anhänglich gewesen, und er hat sich zeitlebens zu dieser Gesinnung bekannt. Seine Treue im Dienst, auch Wenn dieser das Opfer seiner Neigung verlangte, war Reinhard's Stolz. „Unter sremdem Gesetze stehend," bezeichnet er sich in einem Bries an Goethe — ohne Weiteres erkennt er die Unverbrüchlichkeit dieses Gesetzes an. Gerade das Bewußtsein der strengsten Pflichterfüllung gab ihm die Sicherheit des Handelns und den Muth, aus eine deutsche Verwaltung des Landes zu dringen, Uebergriffen der Polizei und des französischen Heeres entgegenzutreten und, wo er konnte, für Bedrängte sein schützendes Wort einzulegen. Dennoch ist auch die verzeichnete Figur des Romans belehrend. Der Dichter wollte einen Conflict schildern, der vorhanden war, für den er aber nicht die rechte Formel fand. Die Wahrheit ist: der Reinhard der Casseler Zeit steht allerdings aus der messerscharfen Schneide, wo die kleinste Abweichung nach der einen oder nach der anderen Seite ihn in Schuld verstricken mußte. Er stellte in seiner Person die Versöhnung zweier Völker dar, zwischen denen kein anderes Verhältniß war, als das von Hammer und Amboß. Er fühlte mit dem Volke, in dem er lebte, dem er selbst angehörte, und seine Amtspflicht machte ihn zum Vollstrecker des Willens, der unerbittlich, mit eiserner Härte auf diesem Volke lastete. War es noch immer die gute Sache, die Sache der Menschheit, der er diente? Den Zwiespalt einer solchen Stellung hatte er schon früher empfunden; ihn zu beschwichtigen war aber immer schwerer geworden. Die Forderungen, die jetzt von beiden Seiten ihn bedrängten, konnten auch das stärkste Selbstvertrauen erschüttern. Daß die Wolke seelischer Verdüsterung nicht selten über ihn kam, ist auch von dieser Casseler Zeit bezeugt. Harnier rühmt ihm eine starke Seele in mächtigem Körper nach; aber „sie bedurfte ermuthigenden Zuspruchs, wenn, wie gar nicht selten, sein natürlicher Ernst durch den Zwiespalt der Zeit und ihrer Ausgaben sich zu düsterem Unmuth zu steigern drohte." Vom Schweiß, der auf seine trübe Stirne quoll, spricht Reinhard selbst in einem Gedicht, das in den Tagen der Auslösung des Königreichs entstanden ist. Strenge Pflichterfüllung und persönliche Geradheit, hatte er geglaubt, seien hinreichend zur Ausfüllung auch dieses Postens. „In Cassel ging ich, zwischen den feindlichen Brüdern durch, meinen geraden Weg, die Weiber rechts, die Jntriken links lassend." Es ist ihm auch gelungen, diesen Posten bis zum Ende der westfälischen Herrlichkeit zu behaupten, „ohne Schädigung der ihm anvertrauten Interessen, ohne Verletzung von Wahrheit und Ehre", aber nicht ohne im eigenen Innern Verwundungen davon zu tragen. Aus den Erfahrungen dieser Casseler Jahre heraus hat sein Neffe Carl Sieveking das bezeichnende Wort über ihn geäußert: durch sein Leben ziehe sich „der schwarze Faden eines Mißtrauens, das ihn, wie Rousseau und alle, die sich über die Selbstgenügsamkeit ihrer sittlichen Kräfte täuschen, gespensterartig verfolgt". Hier in Cassel, mehr als irgendwo, hat sein Schicksal etwas Tragisches. Der Kaiser schenkt ihm seine Gunst, Jerome kann ihm