Heft 
(1894) 82
Seite
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Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.

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die Achtung nicht versagen, die Deutschgesinnten schätzen ihn als mitfühlenden, helfenden Freund; alles ist mit ihm zufrieden am wenigsten er selber.

II.

Am 3. December 1808 ist Reinhard in Cassel eingetrofsen. Besuche und Förmlichkeiten füllten die nächsten Wochen aus. Nach der Stille seines Auf­enthalts am Rhein mußte sich Reinhard doch erst wieder an das bewegte bunte Leben gewöhnen, und mit Vorsicht War der neue Boden zu betreten. Ich habe ein wenig um mich geblickt, ich habe geprüft und mich prüfen lassen." Indessen fand er am Hof eine Aufnahme, mit der er zufrieden war, und die ersten Schritte gewährten Muth und Zuversicht H.Seit wir von den königlichen Personen mit Wohlwollen empfangen worden sind, finden wir auch die Aussicht um uns her freier und vergnüglicher." So schrieb er an Goethe am 13. December. Ein Wiedersehen mit dem Freunde schien bei der räumlichen Nähe leicht zu bewerkstelligen und wurde auch gleich geplant. Goethe hatte schon bei der ersten Nachricht von Reinhard's Ernennung eine Zusammenkunft in Eisenach vorgeschlagen; Reinhard stimmte mit Freuden zu, fand es dann aber doch bedenklich, außer Landes zu gehen, wozu die Erlaubniß des Königs erforderlich war, zu einer Zusammenkunft, der man bei dem all­gemeinen Mißtrauen andere Absichten unterschieben konnte. Auch schreibt er schon am 17. Januar an Goethe:Meine Lage ist hier sehr delikat; was soll ich an dem jungen, leichten, lustigen Hofe! Man supponirt folglich irgend einen anderen Zweck, und es gibt deren, durch die man sich genirt fühlt." Vorläufig muß das Wiedersehen vertagt werden und ebenso das mit Villers, dem er ein Zusammentreffen in Göttingen vorgeschlagen hatte. Im Lause des Winters dachte sich Reinhard den Plan aus, beide Besuche zu verbinden: im Frühjahr soll seine Frau mit den Kindern einen Besuch bei den Ihrigen in Hamburg aussühren, den ersten seit den Erlebnissen in der Ukräne, er selbst will sie bis Göttingen begleiten, und von hier soll Villers sie nach Hamburg führen, während er auf dem Rückweg mit Goethe in Mühlhausen zusammen­zutreffen hofft. Nach Göttingen aber gedenkt er in Begleitung Johannes von Müller's zu reisen, mit dem rasch Freundschaft geschlossen oder vielmehr erneuert worden war.

Er hatte den gelehrten Geschichtsschreiber vor Jahren in Bern kennen gelernt, und schon damals, in den schweizerischen Verfassungswirren, hatten sich die beiden Männer verstanden und angenähert. Müller, der deutsche Patriot, war inzwischen ein Bewunderer Napoleon's geworden, der Kaiser selbst hielt große Stücke auf ihn, und als er eben eine Professur in Tübingen antreten wollte, sah er sich fast gewaltsam dazu gepreßt, seine Kräfte dem neugebildeten Königreich Westfalen zu widmen. Er sollte der Minister- Staatssecretär sein, vertauschte diese Rolle aber schon nach wenigen Tagen mit

0 Anders A. Kleinschmidt (Geschichte des Königreichs Westfalen, S.205), der nach einem Bericht des holländischen Gesandten erzählt, Reinhard habe am Hof eine bis zur Verletzung kalte, geradezu feindselige Aufnahme gefunden; Jerome habe in ihm wie in Jollivet lediglich den Spion des Kaisers gesehen.