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Deutsche Rundschau.
der eines Leiters der westfälischen Unterrichtsanstalten. Sein Schmerzenskind wurden die Universitäten, denen, so weit man sie fortbestehen lassen wollte, eine Umgestaltung im französischen Sinne zugedacht war und die, wenn auch das Schlimmste vornehmlich durch eine Schutzjchrist von Villers abgewendet wurde, sich die Entziehung der Gerichtsbarkeit und die Beschneidung ihrer Einkünfte gefallen lassen mußten. So traf ihn Reinhard jetzt wieder. Müller, der durch seine Erfahrungen auf diesem Boden bereits stark entmuthigt war, wurde sein häufigster und vertrautester Umgang. „Er schützt seine Universitäten wie die Henne ihre Küchlein, während der Falke, nicht mein unschuldiger Wappenfalke, sondern der gierige Finanzfalke, immer in der Luft schwebt. Er und ich übrigens schwimmen im großen Strom und sehen verwundernd zu, wie jeden Augenblick um uns her sich der Anblick verändert, und das werden wir Wohl so lange, bis uns irgend eine Woge gegen irgend einen Felsen schleudert." Es versteht sich, daß auch Müller sich an die Farbenlehre machen muß, und bald kann Reinhard an Goethe berichten, daß Müller, „soweit er sich competent hält," dem Farbenbuch volle Gerechtigkeit widerfahren lasse.
Einen anderen Bekannten traf er in dem Capellmeister Reichard, dem Freund des Sieveking'schen Hauses, wieder. Als König Jerome alle Unter- Lhanen seines Reiches zurückries, hatte auch der Besitzer von Giebichenstein sich einstellen müssen, und da man den unruhigen, verdächtigen Mann, der für den Mitverfasser der im Jahre 1804 in Hamburg erschienenen Schrift „Frankreich" galt, unter Aussicht haben wollte, war ihm die Leitung der deutschen Oper in Cassel übertragen worden. Auch hier konnte Reichard seine Zunge nicht im Zaume halten, und da es von Aufpassern wimmelte, wurde in Kurzem seine Stellung bedenklich. Reinhard's pflegten die musikalischen Abende in des Kapellmeisters Hause zu besuchen; bald aber fand es der französische Gesandte gerathen, seine Frau nicht mehr dahin zu begleiten. Und zuletzt, da die Warnungen nichts fruchteten, mußten die besorgten Freunde darauf sinnen, den Unverbesserlichen zu entfernen. Unter dem Vorwand, neue Kräfte für seine Oper zu gewinnen, ließ sich Reichard nach Wien schicken. Wie Steffens, sein Schwiegersohn, erzählt, waren es Johannes von Müller, der Finanzminister v. Bülow und Reinhard, die zusammenwirkten, um den Unvorsichtigen von diesem schlüpfrigen Boden zu entfernen und in Sicherheit zu bringen.
Ohne Verzug hatte Reinhard seine amtliche Correspondenz mit dem Minister Champagny, Herzog von Cadore, begonnen, und nachdem er sich hinreichend orientirt glaubte, versuchte er in einer langen Depesche vom 15. Januar 1809 eine vollständige Uebersicht über den Zustand des Königreichs, das jetzt eben ein Jahr alt war. Im Eingang erzählte er, daß er auf der Reise nach Cassel, besonders in Frankfurt, sehr Günstiges über den neuen Staat vernommen habe, der von den Nachbarn sogar beneidet werde. Seine eigenen Wahrnehmungen haben aber das günstige Vorurtheil nicht bestätigt. Er fand Unzufriedenheit mit den neuen ungewohnten Zuständen, Abneigung und Zurückhaltung, wechselseitige Anklagen, die aus dem Gegensatz zwischen der