Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.
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deutschen und der französischen Nationalität entsprangen; er fand die Einrichtung einer hohen Polizei, die in die Verwaltung eingreift und sich eine Gewalt anmaßt, der sich der Nationalcharakter nur mit großem Widerstreben unterwerfen wird. Der König und feine Umgebung werden geschildert, mit Wohlwollen, mit der Feder eines Hofmanns, doch, wie dies nun in den Casfeler Depeschen ein stehendes Kunstmittel wird, mit geschickt angebrachten kritischen Strichen, durch die das vorausgeschickte Lob eingeschränkt, zuweilen aufgehoben wird. Jerome erscheint als geborener König, aber zugleich wird seine allzu jugendliche Umgebung, seine sorglose Freigebigkeit bemerkt, und vor Allem, daß er es verschmäht, deutsch zu lernen. Die amtliche Sprache des Königreichs soll die deutsche sein; gleichwohl werden in den Ministerien die Geschäfte französisch behandelt, und die Redaction der amtlichen Erlasse ist französisch. „Der König, indem er einen deutschen Minister des Innern ernannte, hat dieser Sprache ein weites Feld eingeräumt, doch indem er nicht daran zu denken scheint, sie sich selbst anzueignen, versagt er ihr noch den schönsten Triumph." Bei Erwähnung der fünf Universitäten bemerkt er. diese Zahl werde Wohl vermindert werden, aber er räth, nichts zu überstürzen. Es gebe wichtigere Aenderungen, und man dürfe nicht lediglich nach finanziellen Rücksichten entscheiden. In den Universitäten besitze das Königreich einen moralischen Fonds, durch den es eine Wirkung weit über seine Grenzen hinaus ausüben werde. Seine persönliche Stellung schildert er schon in dieser Denkschrift als eine schwierige; er stößt am Hof auf Mißtrauen, das nicht seiner Person, aber seiner Sendung gilt, auf eine Zurückhaltung, die unter Umständen eine feindliche werden kann. Zum Schlüsse kommt er noch einmal darauf zurück, ob Westfalen ein französisches oder ein deutsches Königreich sein solle. Ist es dazu bestimmt, ein Mittelglied zwischen Frankreich und Deutschland zu sein und aus das letztere als Beispiel und Muster zu wirken, so darf es nicht behandelt werden wie die einverleibten Provinzen des linken Rheinufers. Sein Einfluß aus Deutschland und seine moralische Anziehungskraft hängen davon ab, daß es entsprechend dem Geist und den Sitten dieser zahlreichen, unterrichteten und von den Gefühlen der Gerechtigkeit und Treue erfüllten Nation regiert wird. „Wenn die Westfalen sehen, daß man geneigt ist, sie als Deutsche zu achten, so werden alle Herzen gewonnen werden."
Die Denkschrift, die nach dem Zeugniß des Herausgebers von Jerome's Denkwürdigkeiten die unparteiischste und vollständigste Schilderung der Dinge am Ende des ersten Regierungssahrs des Königs enthält, läßt zugleich erkennen, mit welchen Gesinnungen und Ideen Reinhard sein Amt in Cassel antrat. Er hat die Interessen des Kaisers zu vertreten, gegen seinen Willen gibt es keinen Widerspruch; der Gesandte zweifelt keinen Augenblick, daß die Geschicke Deutschlands besiegelt sind. Doch das Königreich Westfalen dient dem wichtigen Zwecke einer Vermittlung beider Nationen, indem es auf den Trümmern zahlreicher feudaler Staatsgebilde einen nach den Grundsätzen des neuen Rechts eingerichteten Einheitsstaat darstellt. Es soll die Ideen der Revolution nach Deutschland tragen, in Recht und Verwaltung den anderen deutschen Staaten ein Vorbild sein. Diese Aufgabe kann es nur erfüllen,
Deutsche Rundschau. XXI, 6. 28