Heft 
(1894) 82
Seite
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Deutsche Rundschau.

Wenn es als ein deutsches Königreich regiert, wenn die deutsche Nationalität anerkannt und über ihre Zukunft beruhigt wird. Die vorhandenen Uebelstände sind der Neuheit und Unfertigkeit zuzuschreiben und dem Umstande, daß die Deutschen mißtrauisch in die Absichten der französischen Herren sind. Man muß vom Laufe der Zeit die Entwicklung der Keime erwarten, die das Land von Frankreich empfangen hat. Im Ganzen blickt Reinhard, obwohl er bereits schwarze Punkte genug bemerkt, doch mit Vertrauen in die Zukunft. Wir werden sehen, wie dieser Optimismus in kurzer Zeit erschüttert wird durch die aufständischen Bewegungen im Königreich und noch mehr durch die unaufhaltsame Finanzzerrüttung.

Champagny antwortete Reinhard am 26. Januar, der Kaiser habe seinen Bericht mit Vergnügen gelesen. Zugleich wiederholte er dem Gesandten die Weisung, in die größten Einzelheiten über alle Theile der Verwaltung ein­zugehen und über die Haltung des Königs und seiner Räthe, wie über die Handlungen der Regierung aufs Ausführlichste zu berichten. Wird ihm schon für diese amtlichen Depeschen die größte Geheimhaltung zugesichert, so erhält Reinhard noch außerdem den Auftrag, für den Kaiser persönlich besondere, nicht Unterzeichnete Bulletins einzusenden mit Neuigkeiten aus der Gesellschaft, Stadtgesprächen, Gerüchten, wahren und falschen Anekdoten, kurz mit einer Art fortlaufender Hof- und Landeschronik. Auch diesen heikelsten Theil seiner Aufgabe hat Reinhard mit achtungswerthem Takte behandelt. Den diplo­matischen Stil beherrscht er mit Meisterschaft. Freimuth und Sarkasmus weiß er mit höfischer Zurückhaltung zu verbinden.Reinhard", so urtheilt ein neuerer Geschichtschreiber des Königreichs,hatte viel Beobachtungstalent und eine sehr gewandte Feder. Deutsch und Französisch schrieb er mit Grazie; seine Berichte sind in einem vornehmen, ruhigen Ton gehalten, angenehm be­lehrend und interessant, niemals frivol, selbst da nicht, wo sie Gebiete berühren, worüber ihm zu berichten zur Pflicht gemacht wurde, auf welchen er sich in­dessen persönlich nicht heimisch fühlte" H. Nur um so stärker freilich regt sich das Bedauern, so viel Beobachtungsgabe und Geist an Gegenstände verschwendet zu sehen, die meist so nichtig und immer so unerquicklich sind.O wie viel verlorene Zeit! wie viel Fleiß und Mühe für nichts und wieder nichts!" so ries Reinhard selbst aus, als er aus zufälligem Anlaß im Jahr vor seinem Tode seine Casfeler Berichte wieder durchsah.

Gleich die nächsten Bulletins drehen sich um Ballgeschichten und Palast- intriguen, in deren Mittelpunkt die Oberhofmeisterin der Königin, die schöne intriguante Gräfin Truchseß stand, die Anfangs Februar ihre Entlassung erhielt. Während des Carnevals reihte sich ein Ballsest an das andere. Den Beschluß machte am 14. Februar ein großer Maskenball am Hofe, und Rein­hards Feder bemühte sich, einen Begriff von den mannigfaltigen Ausführungen und üeberraschungen dieses überaus glänzenden Festes zu geben. Wir begnügen uns, anzuführen, was er von seiner eigenen Rolle dabei erzählt:

Goecke-Jlgen, Das Königreich Westfalen, S. 110.