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Deutsche Rundschau.
Reinhard kommt dann noch auf den Gegensatz einer deutschen und einer französischen Partei, von dem zu reden man sich gewöhnt hatte, und sagt dann, wieder mit einer unverkennbaren Spitze:
„Die wahre französische Partei wird die sein, die, auf die unerschütterliche Festigkeit der neuen Ordnung bauend, die Zeit abwartet, um Vermögen und Auszeichnungen zu gewinnen, und nicht im ersten Jahre zusammenrasfen will, was die Frucht einer langen Laufbahn von Arbeit uns Treue sein soll."
Vorsichtig, doch mit zunehmender Freimüthigkeit, sind die Aeußerungen über den König. Der Kaiser war nie zufrieden mit seinem Bruder, und Reinhard hatte die undankbare Ausgabe, je und je das kaiserliche Mißfallen bei dem Getadelten auszurichten. Insbesondere sollte er ihm die Folgen seiner verschwenderischen Freigebigkeit Vorhalten. Reinhard berichtet aber, daß ihm selten durch den König Gelegenheit gegeben sei, diese Rathschläge zur Sparsamkeit anzubringen. In die verfahrenen Staatsfinanzen gelang es ihm nur allmälig einzudringen, da auch die deutschen Beamten sich gegen den Vertreter Frankreichs zurückhaltend zeigten. Erst am 29. März ist er im Stande, auf amtliche Angaben gestützt, ein zusammeusassendes Bild von der Finanzlage zu geben. Die Schulden, die Westfalen aus den früheren Staaten übernommen hatte, die an Frankreich zu zahlende Kriegskontribution, die Abtrennung der Hälfte der Domänen für Dotationen an französische Generäle, all' dies hatte von Anfang an dem Königreich eine finanzielle Lage bereitet, deren Schwierigkeiten unter regelmäßigen Verhältnissen vielleicht mit der Zeit überwunden Werden konnten, die aber durch die beständig sich steigernden Militärausgaben, durch die Uebergriffe der Civilliste und besonders durch den Unterhalt einer französischen Truppenmacht immer hoffnungsloser sich gestaltete. Reinhard's Urtheile über Bülow sind Anfangs kühl und zeigen selbst ein gewisses Mißtrauen; mit der Zeit werden sie günstiger, und je mehr die französische Partei den Preußen anfeindet, um so entschiedener tritt der französische Gesandte für seine Geschicklichkeit wie seine Rechtlichkeit ein.
III.
Daß im Königreich Westfalen eine allgemeine Mißstimmung herrsche, trotz der Lohalitätskundgebungen, die man dem König bereitete, wird von Reinhard wiederholt nach Paris berichtet. Als besondere Ursachen derselben führt er an den Steuerdruck, die Aushebung, die rückständigen Beamtengehälter. Im März sind Anzeichen geheimer Umtriebe erwähnt, die auf Sendlinge des Kurfürsten zurückgeführt werden, denen der Gesandte aber keine Bedeutung beimißt. Ist in seinen Berichten, so fragt man, nichts zu finden von dem, Was in diesem norddeutschen Gebiete damals die Volksseele im Innersten bewegte, von dem Haß gegen die Fremdherrschaft, von den Regungen des National- gesühls, die in Kurzem in gewaltsamen Ausbrüchen sich entladen sollten? Hat er von diesen Regungen nichts bemerkt? oder nichts bemerken wollen?
Eine Depesche vom Ende März, unmittelbar vor dem Ausbruch des neuen Krieges mit Oesterreich geschrieben, gibt die Antwort auf diese Fragen,' und zwar eine höchst überraschende Antwort. Reinhard unterscheidet die öfter-