Heft 
(1894) 82
Seite
437
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Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.

Mchische Partei unddie Anhänger der Unabhängigkeit oder vielmehr, wenn ich mich so ausdrücken darf, der deutschen Nationalität". Jene, sagt er, die Anhänger Oesterreichs und der entthronten Fürsten, wären nur im Falle kriegerischer Erfolge Oesterreichs vorübergehend zu fürchten. Von den anderen aber schreibt er:

Diese haben sich nach dem Tilsiter Frieden der Nothwendigkeit unterworfen; sie erblicken in der Napoleonischen Dynastie Mittel der Wiederaufrichtung, auf welche zu rechnen die Ent­artung der meisten ihrer Fürsten ihnen nicht mehr erlaubte. Diejenigen, die sich verpflichtet haben, der neuen Ordnung der Dinge zu dienen, haben ihre Hoffnungen und ihre Treue mit­gebracht, und wenn es Ausnahmen gibt, so sind sie nicht zahlreich. Diese Partei, die sich zu Grundsätzen bekennt, denen Oesterreich noch lange fremd bleiben wird, verdient geschont zu werden; sie hat Einfluß, und sie kann sogar dazu dienen, die Absichten und Umtriebe Oesterreichs zu durchkreuzen. Getrennt ist keine der beiden Parteien zu fürchten, aber ihr Zusammenwirken könnte furchtbar werden."

Reinhard's Ansicht, wie sie sich aus diesen etwas künstlich gestellten Sätzen ergibt, ist also die: Die Bildung des Königreichs Westfalen hat, indem es mit zahlreichen feudalen Zwergstaaten aufräumte, und durch seine liberalen Einrichtungen einen Aufschwung des deutschen Nationalgefühls bewirkt und bietet ihm eine Genugthuung, die es vorher entbehrte; dieses Gefühl muß man schonen, seine Entwicklung, begünstigen, es ist der natürliche Feind Oesterreichs, es wird einst den Kitt der neuen Dynastie bilden. Im deutschen National­gefühl sieht also Reinhard einen Bundesgenossen gegen die Wiederkehr der alten Ordnung. Die deutsche Partei sieht er als die loyale Partei an, in dieses Licht stellt er sie auch bei seinen Auftraggebern, und so kommt es, daß der Vertrauensmann Napoleon's eben diese Partei zu schonen empfiehlt, hinter der eine andere deutsche Partei steht, die eines Tages zu einer furchtbaren Macht gegen die Fremdherrschaft heranwachsen sollte. So scharf er zu beob­achten verstand, in die Tiefe der deutschen Volksseele vermochte er nicht zu blicken. Der Schwabe, der unter Schweizern und Franzosen seine Bildung vollendet, und, seit er in der Fremde war, nur die literarischen Beziehungen zu seinem Vaterlande gepflegt hatte, ahnte nicht, was unter dem Druck der Fremdherrschaft im deutschen Norden in der Stille sich vorbereitete. Es ent­ging vielleicht nicht seiner Beobachtung, aber er glaubte nicht an den Ernst dieser Bewegung. Preußen lag niedergeworfen am Boden. Es findet sich in Reinhard's Berichten da und dort eine übermüthige Bemerkung, die verräth, daß er von dieser Seite keine Gefahr ahnte. Darin hat ihn der Umstand nur bestärken können, daß die Vertreter Preußens in Cassel angewiesen waren, seine Gunst zu gewinnen und sich zu sichern. Seine mächtige Fürsprache pflegten sie anzurusen gegen die westfälische Polizei, die, um üblen Schein aus Preußen zu Wersen, die niedrigsten Kunstgriffe anwandte H.

Reinhard hat richtig gesehen, daß das deutsche Nationalgefühl und die österreichische Politik unvereinbare Gegensätze seien; aber er war arglos genug, an eine dauernde Unterwerfung der Deutschen unter die Nothwendigkeit zu glauben, an ihre Aussöhnung mit den napoleonischen Ordnungen, und in diesem

') .Kleinschmidt a. a. O-, S. 469.