Aus Karl Friedrich Reinhard'» Leben.
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War der erste Besuch, den im März, mit dem Beginn der Osterferien, der Sohn ihrer Schwester, Karl Sieveking, von Göttingen aus im Rein- hard'schen Hause machte. Der vielversprechende Student gefiel gut, war aber eben in diesen Tagen für Reinhard die Ursache einer ernsten Verlegenheit. Er hatte in Göttingen die Jugendsreundschast mit dem später als Kunstsorscher berühmt gewordenen Karl von Rumohr erneuert, und da dieser wegen seines excentrischen Benehmens die Aufmerksamkeit der westfälischen Polizei auf sich gezogen hatte, so dehnte sich der Argwohn auch auf feinen Freund aus. Man hatte Rumohr sogar im Verdacht, mißliebige Plakate an den Straßen angeschlagen zu haben, und es lag Reinhard Alles daran, den Neffen von einer so bedenklichen Verbindung loszumachen. Dieser versicherte übrigens bestimmt, daß Rumohr sich nie um Politik bekümmert habe, und daß ihr Umgang lediglich ästhetischen und religiösen Gegenständen gegolten habe. Durch Reinhard's Vermittlung, der dem Oberst der Gens- darmerie Bongars gegenüber nachdrücklich für den Neffen einstand, wurde die Sache glücklich beigelegt. „Uebrigens," schrieb Christine an ihre Schwester, „schadet es nichts, Carl zur Vorsicht zu ermahnen. Ich wünschte, er wäre schon fort aus Göttingen, in Deinem friedlichen Hamburg, unter Deinen mütterlichen Augen."
Hatte Reinhard daraus verzichten müssen, seine Frau in Gesellschaft Müller's bis nach Göttingen zu begleiten, so ging nun Müller am 25. April allein nach der Universitätsstadt, und zwar in verdrießlichen Amtsgeschäften. Das Verbindungswesen war den Franzosen eine unbegreifliche und unbehagliche Sache. Man hatte dem König gesagt, daß es auch unter der Göttinger Studentenschaft gähre, und der Generaldirector des Unterrichtswesens sollte nach der Sache sehen. Zum Glück fand Müller Alles in tiefster Ruhe. Er machte Professorenbesuche und hatte die Freude, „einmal wieder über Bücher und Literatur zu sprechen; die verwünschte Politik vergiftet allen Frohsinn des Lebens." Reinhard schrieb am 3. Mai: „Müller ist von Göttingen zurückgekehrt, wo er Professoren, Studenten und Volk in Ordnung und Schweigen gefunden hat. Es scheint, daß es etwas übertriebene Berichte des Polizei- commissärs waren, die einige Befürchtungen erregt hatten."
Um sich für das Diplom eines Mitglieds der Königl. Societät der Wissenschaften zu bedanken, nahm sich Reinhard von Neuem vor, mit Müller zusammen einen Besuch in Göttingen zu machen. Er ahnte nicht, wie bald er am Grabe des Freundes stehen würde. Müller hatte am 11. Mai eine Audienz bei dem König, am 17. erkältete er sich bei einem Abendspaziergang, und am 29. verschied er, siebenundfünfzig Jahre alt. An Villers schrieb Reinhard am 7. Juni:
„Er starb au einer Gesichtsrose, verursacht durch einen Abendgang, zu dem ich ihn auf- gefordert hatte. Tags zuvor hatte er sein Testament gemacht, und bei jenem Spaziergang, den ich nie vergesse, hatte er, von düsteren Gedanken bestürmt, nur von seinem Tode gesprochen. Er starb an einer Gallenkrankheit; er ist an Kummer gestorben! Sie wissen vielleicht die Ursache, Sie wissen aber nicht die letzte. Indessen kommt es nicht mir zu, daß Sie diese von mir erfahren, auch brauchen Sie nicht zu sagen, ich hätte Ihnen geschrieben, daß er an Kummer gestorben ist."