Aus Karl Friedrich Reiuhard's Leben.
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bedingt ist, ohne fest und beständig zu sein." Und in einem Weiteren Bericht vom 8. August bemerkt er:
„Alles erklärt sich aus dem übertriebenen Begriff, den der König von seiner souveränen Macht hat, aus seinem Verlangen, allein zu regieren, aus seiner Jugend und seinen Gewohnheiten. Bei einem jungen Fürsten wie er hat Niemand Einfluß, oder vielmehr alle Welt. Seine Majestät verkennt die Länge des Wegs und die Größe der Anstrengungen, die er braucht, um zur Vollkommenheit zu gelangen. Er sagte mir zweimal während der Reise: ,Seit ich nicht mehr in Kassel bin, geht Alles dort schlecht; es fehlt der Kops/ Er sagte das ohne Eigenliebe, er glaubte es wirklich."
Nachdem die wechselnden Aufregungen und Gefahren dieses Sommers glücklich überstanden waren, schrieb Reinhard am 10. August wieder einen umfassenden Bericht über die Lage des Königreichs, worin er unparteiisch und getreu, wie er selbst sagt, Menschen und Dinge darzustellen versuchte. Nach einer Erfahrung von acht Monaten fiel sowohl die Charakteristik der Persönlichkeiten, vom König angefangen, als die Beurtheilung der einzelnen Regierungszweige schärfer und eindringender aus als in jenen ersten Depeschen. Von großem Interesse ist aber namentlich, was er von dem allgemeinen Geiste des Landes zu berichten hatte. Reinhard verschwieg nicht, daß das Volk mit wenigen Ausnahmen den Sieg der österreichischen Waffen gewünscht hatte. Nicht wilde Leidenschaften, die dem Deutschen fremd sind, waren die Ursache, sondern die allgemeine Unzufriedenheit. Aus Ehrgefühl und Rechtlichkeit entsprang die Anhänglichkeit an die alten Herrscher; Ehrgefühl und Rechtlichkeit schrieben ebenso die Treue gegen die neuen Pflichten vor, und aus diesem Widerspruch ergab sich eine Art von passiver Neutralität, die aber sofort aufgehört hätte, wenn das Kriegsglück die Oesterreicher begünstigt hätte. Die Verschmelzung des deutschen und des französischen Geistes ist durch die jüngsten Ereignisse gestört und erschwert worden, Haß und Mißtrauen haben sich gesteigert, doch wird Westfalen dem Gesetz des Siegers sich beugen, wenn dieser nicht das Unmögliche will. Nach dem Friedensschluß mit Oesterreich wird der Augenblick zu einem besonderen Friedensschluß für Westfalen gekommen sein, zu einer gegenseitigen Amnestie: einerseits Befestigung der französischen Organisation, andererseits Achtung der bestehenden und örtlichen Rechte und, wo verschiedene Auslegungen möglich sind, weitestes Entgegenkommen gegen die Deutschen. Dann folgen wieder die schärfsten Anklagen gegen die hohe Polizei, die keine der aufständischen Bewegungen vorhergesehen hat, die durch ihr Verfahren die Trennung zwischen Franzosen und Deutschen unheilbar macht, gegen die der deutsche Charakter einen unausrottbaren Widerwillen hegt und deren Einmischung besonders von den Universitäten sernzuhalten ist. Was aber am König auszusetzen war, das drückte Reinhard am Schluß in einer Anzahl von frommen Wünschen aus, und vorangestellt ist wieder: „Möge der König sich bewußt sein, daß er über ein deutsches Volk regiert."
Im August 1809 beschloß der Kaiser eine Maßregel, die dem Königreich Westfalen eine neue finanzielle Schädigung brachte und die zugleich eine persönliche Kränkung für den König war. Die rücksichtslose Durchführung der Continentalsperre schien dem Kaiser das einzige Mittel, über England Herr