444
Deutsche Rundschau.
zu werden. Nun glaubte er, daß der Schmuggel mit englischen Maaren in Norddeutschland nicht hinlänglich überwacht werde, und ordnete die Errichtung einer zweiten Zolllinie im Binnenlande an, die quer durch das Königreich Westfalen lief. Ohne daß eine diplomatische Uebereinkunft, ja auch nur eine vorherige Ankündigung geschehen wäre, erschienen bewaffnete Zollbeamte im Lande und machten sich ans Werk. Der König war empört, er wollte sogar die Entwaffnung dieser Eindringlinge befehlen, er bat seinen Bruder wiederholt, die Königswürde niederlegen zu dürfen. Wie gewöhnlich, wurden diese Briese vom Kaiser gar keiner Antwort gewürdigt, doch erhielt Jerome auf seine Bitte die Erlaubniß, einen Besuch in Paris zu machen. Am 1. November reiste er dahin ab. Reinhard hatte auf der strengen Durchführung des Decrets zu bestehen. Mit welchen Empfindungen er es that, mag man aus den Worten abnehmen, die er viele Jahre später an Goethe schrieb: „Seit der Durchschnittslinie vom Rhein nach Lübeck war mir erwiesen, daß mit Napoleon kein Auskommen wäre. Meine Dienste blieben ihm treu, meine Wünsche nicht."
V.
Nach dem Ausgang des österreichischen Krieges gingen dem Kaiser Gedanken einer durchgreifenden Neuordnung der deutschen Dinge durch den Kopf. Er ließ diese Pläne wieder fallen, dagegen sollte etwas geschehen wegen der deutschen Hansestädte, deren Stellung seit dem Beginn des Krieges mit England die französische Politik beständig beschäftigt hatte. In irgend einer Form sollten sie dem französischen System einverleibt werden, und das Nächstliegende schien ihre Einbeziehung in den Rheinbund. Für die Verhandlungen zu diesem Zweck nahm der Kaiser die Dienste Reinhard's in Anspruch, einmal weil dieser durch seine frühere Thätigkeit in Hamburg besonders vertraut mit den hanseatischen Dingen war, und dann, weil der Kaiser einen in Geldsachen reinen Unterhändler haben wollte, während von Bourienne, dem damaligen Gesandten in Hamburg, das Gegentheil bekannt war. Der Kaiser beauftragte, wie er an Champagny am 26. September 1809 schrieb, Reinhard ausdrücklich deshalb, „pares czus so ns veux pa8 äs 668 tripotassW ck'arqont qui ck68i>ouor6NI l6 oouv6rn6M6nt." In diesem Schreiben an Champagny waren die leitenden Gedanken für die künftige Stellung der Städte gegeben, die als kaiserliche Städte fortbestehen, aber in ein Abhängigkeitsverhältniß von Frankreich gebracht werden sollten, dessen nähere Bestimmung nun in einer Konferenz mit Vertrauensmännern der drei Städte sestzustellen war.
Diese Verhandlungen H fanden Ende October und Anfang November in Hamburg statt. Unter den Hamburger Notabeln, die an der Konferenz Theil nahmen, befand sich auch Reinhard's Schwiegervater, der alte Professor Rei- marus. Ferner hatte Reinhard aus Lübeck Villers herbeigerufen, diesen unermüdlichen Anwalt der Städte und genauen Kenner ihrer Verfassungsver-
0 Vergl. die beiden Aufsätze von A. Wohlwill im VII. Bande der „Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte", S. 65 ff. und S. 599 ff., wo die Urkunden über diese diplomatische Verhandlung mitgetheilt find.