Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben-
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hältnisse. Sein ehemaliger Secretär Georg Kerner, jetzt ein geachteter Arzt in Hamburg, wurde von ihm gleichfalls in Anspruch genommen und, wie in vergangenen Tagen, zu Secretärdiensten und UeLersetzungen verwandt. Ja, Kerner hätte am liebsten die Denkschrift, die am 8. November nach wenigen Sitzungen zu Stande kam, als Courier nach Paris überbracht, wenn ihn nicht ärztliche Verpflichtungen zurückgehalten hätten. In dieser Denkschrift hatte Reinhard die Wünsche der Städte berücksichtigt, so weit es innerhalb der gemessenen Weisungen thunlich war. Der Bremer Senator Smidt gab ihm das Zeugniß, daß er den besten und redlichsten Willen gehabt habe, für die Städte Alles zu thun, was mit seiner Pflicht als Diener des Kaisers nur irgend vereinbar war. „Wir hätten unter diesen Umständen in keine besseren Hände fallen können."
Die rasch geführten Verhandlungen ließen Reinhard in Hamburg wenig Zeit zu anderen Dingen. Frau und Kinder hatten ihn begleitet, und mit der Familie seiner Frau sind die gelockerten Bande damals wieder fester geknüpft worden. Durch Villers wurde seine nähere Bekanntschaft mit dem dänischen Geschäftsträger, dem trefflichen I. G. Rist, vermittelt, und aus dessen Feder haben wir eine interessante Charakteristik Reinhard's wie er damals erschien H. Rist nennt ihn einen höchst geistreichen Menschen und merkwürdigen Mann, der dem unbefangenen Beobachter eine Menge von Räthseln darbot.
Was zunächst auffiel, war äußerlich die unbehülfliche und linkifche Länge feiner Gestalt, verbunden mit einer anscheinend unüberwindlichen Zurückhaltung und Steifheit, mit der das Gehaltreiche und Abgewogene feiner Aeußerungen, die durchaus den überlegenen Mann bezeich- ueten, seltsam abstach. Es war zugleich bekannt, daß er in allen wesentlichen Verhältnissen durchaus tadellos und gerecht, in politischen gewandt und umsichtig, doch ohne Verleugnung seiner Selbständigkeit war. Nur ein ausgezeichnetes Talent, das besonders in dem diplomatischen oder vielmehr welthistorischen Blick und in einem musterhaften französischen Geschäftsstil sich äußerte, konnte erklären, wie ein Fremder, dessen Persönlichkeit, dessen Aussprache so nichts für Franzosen Gewiunendes, vielmehr so viel Abstoßendes haben mußte, sich in einer solchen Zeit, auf so vielen ausgezeichneten Posten habe behaupten können. Jetzt diente er, eifrig genug, obwohl wahrscheinlich nicht mit lleberzeugung, dem Kaiser Napoleon, während er in dem neuen westfälischen Königreiche, als französischer Vormund, deutsche Männer und deutsche Richtungen auf alle Weise begünstigte. Der bittere Widerspruch, in den ihn seine Lage oft unvermeidlich mit seiner besseren, deutschen, ja echt schwäbischen Natur setzen mußte, der leise Vorwurf, im französischen Dienst an Deutschlands Unterdrückung Mitarbeiten zu müssen, mochte mitunter an übler Laune und innerer Inkonsequenz schuld sein, so wie ein entschiedener Dichtergeist, der sich in den anmuthigsteu Erzeugnissen oft kund gethan, auch im Conflict mit seiner Bestimmung und von einer Art von Scham begleitet, der argwöhnischen Reizbarkeit zu Grunde gelegen haben mag, mit der er stets von allen Seiten, wo er nicht unbedingte Verehrung und Hingebung fand, heimliche Nachstellung, Feindseligkeit und absichtliche Kränkung zu erfahren glaubte. Die Hälfte seiner Eigenschaften oder eine günstigere Mischung derselben Hütte einen viel brauchbareren und glücklicheren Manu gebildet; aber der Schwabe, der französische Beamte, der Staatsmann, der Philosoph, der Baron und der Dichter wollten sich nicht recht mit einander vertragen, und so hat einer der seltensten Menschen, an wahrem, tiefem Gehalt und sonst auf das Glücklichste begabt, nur ein mittelmäßiges Loos wahren Wohlseins gezogen und auch um sich keine Gemüthlich- keit und kein Glück zu verbreiten gewußt.
i) I. G- Rist's Lebenserinnerungcn, Bd. II, S. 65 f.