Heft 
(1894) 82
Seite
472
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Literarische Rundschau.

Talleyrand.

^Nachdruck untersagt.s

Talleyrand. Eine Studie von Lady Blennerhassett, geb. Gräfin Lehden. Berlin, Gebrüder Paetel. 1894.

Daß ein reicher und vielbewegter Lebenslauf biographisch wenig ausgibt, kommt Wohl nur ausnahmsweise vor. In die Zahl solcher Lebensläufe dürste derjenige Talleyrand's gehören, und das aus Ursachen, die näher liegen, als man aus den ersten Blick annehmen möchte. Die Existenz dieses merkwürdigen Mannes ist so weit Nachrichten über denselben vorliegen vollständig in die öffentliche Thätig- keit desselben ausgegangen, diese Thätigkeit aber wegen ihres Zusammenhanges mit den wichtigsten Abschnitten neuerer Geschichte zum Gegenstände einer Literatur ge­worden, die der Sichtung und Correctur ungleich mehr bedarf als der Bereicherung. Die Figur Talleyrand's ist eine der bekanntesten ihrer Zeit gewesen von dem Menschen und dessen intimem Leben haben Zeitgenossen wie Nachfahren dagegen gleich wenig zu hören bekommen. Talleyrand selbst ist bei Niederschrift seiner Denkwürdigkeiten an der eigenen Person möglichst rasch vorüber gegangen. Dem Grundsätze,daß die Welt Denen nicht ins Herz sehen darf, von denen sie regiert wird," hat der berühmte Diplomat (dessen Sache moralische Grundsätze überhaupt nicht waren, und der von seinem Herzen niemals Aufhebens gemacht) Wohl nur unbewußt gehuldigt. Gewohnt, sich wesentlich um die Thaten und Fähigkeiten anderer Leute zu kümmern und nach der inneren Beschaffenheit derselben höchstens beiläufig zu fragen, dürste der alte Herr das gegen seine Mitmenschen geübte Ver­fahren ohne Weiteres aus sich selbst angewendet haben. Ob er dabei gemeint hat, daß Jeden nur das Leben darüber belehre,wer er sei", wissen wir nicht. Dafür wissen wir, daß die Zahl der Menschen, die niemals darüber belehrt worden, Wer­ste eigentlich gewesen, eine außerordentlich große ist, und daß Menschen, die die Beschäftigung mit sich selbst grundsätzlich ablehnen, in der Regel nur danach fragen, wofür sie gelten.

Der Biograph darf sich an der Feststellung der Geltung seines Helden nicht genügen lassen. Das hat Lady Blennerhassett genau genug gewußt, um es bei einem Berichte über Talleyrand's äußerem Lebensgang nicht bewenden zu lassen, sondern ihre Absicht aus ein wirkliches Bild des Mannes zu richten. Wo immer möglich, ist die Verfasserin mit dem seinen Spürsinn der Frau dem Entwicklungs­gänge dieses echten Sohnes einer Zeit nachgegangen, über welche sie umfassende Studien angestellt hat Studien, deren Grenzen sich kaum übersehen lassen. Nichtsdestoweniger ist es daraus hinaus gekommen, daß wir über Talleyrand's Zeit und Talleyrand's Einfluß aus dieselbe mehr erfahren, als über ihn selbst. Die