Literarische Rundschau.
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Geschichte des Revolutionszeitalters, der Restaurationsperiode und der zunächst aus dieselbe folgenden Ereignisse wird mit einer Ausführlichkeit und Gründlichkeit erörtert, wie sie uns nur in einem biographischen Werke neuerer Zeit begegnet ist: dem Buche derselben Verfasserin über Frau von Staöl. In beiden Arbeiten liegt der Schwerpunkt aus der Fassung des Steins, bei beiden hat man mitunter den Eindruck, daß der Rahmen außer Verhältniß zu dem von ihm eingeschlossenen Bilde steht. Vorliegenden Falls ist die Sache aber kaum anders zu machen gewesen: von dem Reichthume des inneren, aus der Tiese eines bewegten Herzens geschöpften Lebens, das die Brust der Frau von Staöl erfüllte, hat Talleyrand niemals etwas besessen, und demgemäß Diejenigen, die über ihn berichten wollten, in aller Form daraus angewiesen, bei seinen äußeren Geschicken und seinem Antheil an den großen Welthändeln stehen zu bleiben. So bedeutend und anziehend dieser Antheil auch gewesen, und so zahlreiche Beweise dafür vorliegen, daß der vieljährige Leiter der auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs nicht nur das größte diplomatische Talent seiner Zeit, sondern eines der größten Talente aller Zeiten gewesen ist — im höheren Sinne des Wortes interessant und bedeutend kann eine Persönlichkeit kaum genannt werden, die sich von einem Punkte aus übersehen läßt, die man kennt, wenn man über die Voraussetzungen ihres Werdens und ihrer Bildung Bescheid erworben hat. Der an Voltaire und Montesquieu gebildete vornehme Herr des achtzehnten Jahrhunderts — damit ist Alles, oder doch so viel gesagt, daß man das Uebrige unschwer erräth, wenn man hinzu genommen hat, daß dieser Herr ein unerschütterlich phlegmatisches Temperament und eine kaum beirrbare Urtheilskraft besessen. Rein menschlich betrachtet, läßt sich kaum etwas Kümmerlicheres denken, als ein aus einundachtzig Jahre gebrachtes Leben, das von wirklichen Gemüthsaffecten kaum zwei- oder dreimal bewegt worden ist.
Non der Schwierigkeit der der Verfasserin zugesallenen Aufgabe braucht nach dem Vorstehenden nicht weiter gehandelt zu werden. Der Biographin Talleyrand's blieb nichts übrig, als alles Gewicht aus eine durchsichtige Darstellung der Thätig- keit des Staatsmannes und Diplomaten zu legen und für die Beurtheilung derselben den gehörigeil Standpunkt zu gewinnen. An dem historischen Berichte könnten im Einzelnen Ausstellungen gemacht werden, wenn die Verdienstlichkeit des Ganzen nicht eine überwiegende wäre. Hie und da hätte im Interesse größerer Ueber- sichtlichkeit am Detail gespart und in Betracht gezogen werden können, daß für historische Excurse biographischer Schriften Grenzen bestehen, deren Ueberschreitung auch da retardirend wirkt, wo die Art der Behandlung von wirklicher Beherrschung des Stoffes zeugt. — Hätten wir nicht mit einer Schriftstellerin zu thun, die ihre Legitimation znm Mitreden über politische und historische Dinge schon früher (in den Beiträgen zu dieser Zeitschrift und dem Buche über Frau von Staöl) beigebracht hat, so dürste hier hervorgehoben werden, daß Lady Blennerhassett über einen selbsterworbenen Bildungsbesitz verfügt, um welchen zünftige Politiker sie beneiden könnten. Unter den zahlreichen Beweisen, welche die Verfasserin für die Sicherheit und Schulung ihrer Urtheilskraft geliefert hat, liegt der bemerkenswertheste in dem Abschnitt über das Concordat vor. Treffender als hier geschehen, kann die Summe der Verhandlungen vom Jahre 1802 nicht Wohl gezogen, scharfsinniger nicht nachgewiesen werden, daß Talleyrand und sein Meister ihre Augenblickserfolge mit Preisgebung der höchsten Interessen des Landes und seiner Kirche bezahlt und zu dem Systeme des modernen Ultramontanismus den Grund gelegt haben. — Gleiche Sicherheit des Blicks bekundet Lady Blennerhassett in den Ausführungen über den Punkt, aus welchem Talleyrand und Napoleon auseinander gingen. Der Verfasserin kann nur beigepflichtet werden, wenn sie, trotz der Zweifelhaftigkeit der den Rücktritt Talleyrand's begleitenden Umstände, die letzte Ursache desselben in dem Widerspruch des Staatsmannes gegen die Ungeheuerlichkeiten des Eroberers sieht. Daß Talleyrand's „Grundsatzlosigkeit" eine sehr bestimmte Grenze hatte, und daß der gefügigste aller Minister seiner Zeit sich auf politische Absurditäten auch da nicht einließ, wo