Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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aufdringlichen Lärm Gott vergebens suchen. In den Zeiten echter Erfülltheit aber liegt der Transformationspunkt für den Einstrom göttlichen Wirkens in der Seele weniger Menschen, meist sogar eines einzelnen. Nur hier wird die geheimnisvolle Umschaltung in einem Knistern und Sprühen, in einer einzigartigen Erschütte­rung unmittelbar Erlebnis. Wer allein aus dem, was die transfor­mierte Gotteskraft außerhalb seiner selbst im menschlichen Be­reich bewirkt, den Spender dieser Kraft erkennen will, der begnügt sich mit einem Gotteserlebnis sehr abgeleiteter Art, das immer in Gefahr steht, leeres Gerede zu werden. Im Grunde ist dies eine Bekanntschaft vom Hörensagen. Gott ist nicht erfahren, wo er nicht unmittelbares, das heißt persönliches Erlebnis geworden ist.

Geht es also um Zeugnisse für seine wirkende Gegenwart, so behält immer die persönliche Aussage höchsten Wert. Gott offen­bart sich im Zwiegespräch. Die großen religiösen Menschen wer­den von ihm persönlich aufgerufen; zu ihnen spricht er:Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.

Hier nun tut sich die große Gefahr auf, eitel und ruhmredig zu werden. Wenn ich mich eines starken und alle Zweifel aus­schließenden namentlichen Anrufes nicht rühmen darf, wenn darum meine Aussage von Gott nur in bedingter und angenäher­ter Weise Zeugniswert haben kann, ist es mir dann überhaupt erlaubt, mein Zeugnis anzubieten?

Immer einmal wieder von Zeit zu Zeit geschieht es mir, daß ich in der Nacht aus tiefem Schlaf auffahre, daß ich plötzlich hellwach und mit überalltäglich geschärftem Ohr aufrecht in meinem Bett sitze. Dann hat mich mein Vater gerufen, der nun schon zwanzig Jahre in seinem Grabe schläft. Ich habe ganz deut­lich und ganz nahe meinen Namen gehört, einmal nur. Aber das kurze Wort war der sinnlichen Gegenwart des Rufenden so über­zeugend voll, daß die FrageWer hat gerufen? sich ihrer selbst schämen müßte. Da sitze ich und bin ganz horchender Gehorsam, sehe schon die stumpfgewordenen Messer, Hobeleisen und Zieh­

- klingen gesammelt und bin bereit, dem Vater den Schleifstein zu

drehen. Meine überwachen Augen sehen in einem einzigen Über­blick jedes Messer in der unverwechselbaren Besonderheit seiner Klingenform. Am Schleifsteintrog sind in den beiden hochragen­den Dauben die Aussparungen für die Welle mit Speckschwarten

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