ERFÜLLUNGEN
Jeder Herbst brachte eine andächtige Wiederbesinnung auf das wahrhaft Erstrebenswerte: den Umgang mit Büchern. Für mich freilich hatte auch der Sommer seine Lesefreuden; den Eltern aber beschnitt er die freie Zeit so sehr, daß sie sich nur an den Sonntagen noch Kraft aus Büchern holen konnten. Ich hatte wohl meine bestimmten Pflichten, und an manchen Tagen mußte ich in der Werkstatt mit Hammer und Treibholz, mit Hobel und Kröse hantieren, wie es die männlichen Angehörigen der Familie vor mir auch getan hatten. Die kleinen Gelenkverdickungen meiner Rechten zeigen noch heute, daß diese Hand früh mit Werkzeugen umgehen mußte, die ihr eigentlich noch zu schwer waren. Wenn dem Vater daran gelegen gewesen wäre, meine Arbeitskraft ernsthaft in wirtschaftliche Berechnungen einzubeziehen, so hätte ich ihm mit fünfzehn Jahren ein vollkommen ausgebildeter Geselle sein können. Er hatte sich aber vorgenommen, sein sterbendes Handwerk allein ans Grab zu geleiten und den Söhnen andere Lebensaussichten zu eröffnen. Vorläufig sollten sie aus der Schule mitnehmen, was immer ihnen möglich war. Es blieb mir darum genug freie Zeit, und ich konnte ein Herrenleben führen, das dem Sohn eines kleinen Dorfhandwerkers eigentlich nicht zustand. Nach den Bräuchen des Dorfes hätte: ich mit zwölf Jahren spätestens bei einem Bauern als Dienstjunge verdungen werden müssen, womit mir im Sommer die sogenannte„Dispensation“ gewiß gewesen wäre. Die Dispensierten erschienen in der Schule nur an zwei Tagen der Woche zu einem vierstündigen Gastspiel. Bei Schulanfang hatten sie schon ein kleines Tagewerk hinter sich. Das waren rauhe Männer, die in der Arbeit und im Umgang mit Knechten und Mägden das Leben schon kennengelernt hatten, Burschen, die gemächlichen, wiegenden Schrittes einherkamen und die Hände nicht ohne Not aus den Hosentaschen hervorholten. Um acht Uhr früh zeigten sie ein sehr überlegenes Gesicht und schienen fest entschlossen zu sein, dem Unterricht um keinen Preis mehr Auf
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