„ICH REDE NOCH MIT DIR“
Meine Eltern sind gewiß fromme Menschen gewesen; aber Gottes Name war ihnen zu gedankenloser Einmischung in den Sprachschutt des Alltags wohl zu heilig. Unser Dorf lag von seinem Kirchort ein gute Meile entfernt. In den entscheidenden ersten elf Jahren meines Lebens stellte einzig ein ungepflegter, beschwerlicher Weg über Moor und Heide die Verbindung her. Der Kirchgang hätte nach immer drangvoll arbeitsreichen Wochen die bitter notwendige und stets durch irgendwelche außergewöhnlichen Verrichtungen schon ohnehin stark beschnittene Sonntagsruhe um mindestens fünf weitere Stunden verkürzt. Darum wurden wohl zwei Plätze auf dem Wagen eines befreundeten Bauern mit Dank angenommen. Da aber die Bauern unseres Dorfes nicht eben als kirchlich gelten konnten, so war dieses Anerbieten sehr selten, und es wäre ungebührlich gewesen, auch noch für eines der Kinder einen Platz zu erbitten. Die Umstände meiner ersten Jugend waren also einer Begegnung mit Gott sehr ungünstig.
Meiner Erinnerung nach hat mich mein Vater zum erstenmal vor den Namen Gottes gestellt. Es war in seiner Werkstatt, und ich weiß, daß ich in Zusammenraffung meiner noch unentwickelten Gedächtniskräfte angestrengt auf einen kleinen Amboß niedersah, wobei das Gewirr von Kaltmeißelnarben, das diesem Amboß eingegraben war, in eine geheimnisvolle Entsprechung trat zu den krausen Lauthäufungen, die mir mein Vater vorsprach und die ich nachbilden sollte:
„Fürchte Gott, liebes Kind! Gott, der Herr, sieht und weiß alle Dinge— Amen!“
Als erste religiöse Unterweisung hatte dieses Vornehmen seinen Zweck vollkommen verfehlt. Das kleine Gebet wurde mir ja in hochdeutscher Sprache dargeboten, und dieses Dunkel konnte ich noch nicht durchlichten. Der Name Gottes war mir ganz unbekannt und konnte also mein Gefühl, so leicht es sein mochte, auf
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