Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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seiner dunklen Schwinge noch nicht emportragen. Aber das ganze Gebet teilte sich mir rhythmisch sofort in sechs Teile auf. Der erste Teil war ganz dunkel, ebenso der dritte:Gott, der Herr. Aber als Lichtpunkt glänzte zwischen zwei Dunkeln das leuch­tende Wort:Liebes Kind, Von seinem Klang ließ ich mich streicheln; es tat mir wohl. Dann brachten wieder die Wortesieht und weiß wenigstens ein verheißungsvolles Wallen in den Wort­vorhang, hinter dem der Sinn sich barg.Weiß empfand ich als licht, und es erschien mir um des Gegensatzes willen mit dem sieht zusammengestellt, in dem ich ein Dunkles vermutete. Alle Dinge erinnerten mich an den Dienstag, den ich in meinem Plattdeutsch alsDingsdag bezeichnete. Nach der beschwerlichen Wanderung durch die vielen Fährnisse dieser Wortfolge bedurfte das abschließendeAmen keiner Aufhellung mehr. Es war ein­fach ein Freudenschrei über die glückliche Ankunft am anderen Ufer.

Mit Bedacht wird hier das WortUfer gesetzt. Denn diese Sprechübung war in ihren Gefahren sehr wohl dem Überqueren vergleichbar des Baches, hinter dem unser Nachbar Jochen wie in einer Festung wohnte. Ob dieser Bach gleich so schmal war, daß die Planke einer ausgedienten Hobelbank ihn überbrücken konnte, sahen meine Kinderaugen ihn doch unheimlich groß und bedrohlich. Aber in der Gefahr lag eben auch eine Lockung, und jedes Überqueren des Baches war ein tapfer bestandenes Abenteuer.

Das Nachsprechen des Gebetes nun verschmolz in meinen Ge­danken mit dem Überqueren des Baches auf der Hobelbank­planke zu einer Übung.Fürchte Gott liebes Kind Gott der Herr sieht und weiß alle Dinge Amen. Mit fünf bedächtig wiegenden Schritten war das andere Ufer zu gewinnen. Die Augen fanden dabei einen Halt an den Bankhakenlöchern, die am rechten Saum der kleinen, geländerlosen Brücke hinliefen. Und wie der noch über dem Ungewissen schwebende Fuß sich mit der letzten Bewegung ganz schnell und bedenkenlos seinem Bru­der zugesellte, der schon auf festem Boden stand, so folgte dem Alle Dinge dasAmen pausenlos und im Ton zu einem klei­nen Triumphschrei gesteigert.

Zuletzt war es ein schönes Spiel, immer schneller und unbe­sonnener und doch des Gelingens sicher über die Brücke zu lau­

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