„Wo SOLL ICH HINGEHEN VOR DEINEM GEIST?“
An der Schwelle dieses Jahrhunderts erwachte ich zu bewußtem Leben, Damit ist zugleich gesagt, daß ich allen Verlockungen der Zeit zu einem gottesleugnerischen, einem unnachgiebig diesseitig bestimmten Leben ausgesetzt gewesen bin. Einige solcher Verlockungen seien aufgeführt: Der Lärm, mit dem ein zeitgemäß hergerichteter Aberglaube die Pyrrhussiege der Naturwissenschaft über alle Rätsel der Welt feierte, die heldische Gebärde, in der Prometheus-Nietzsche sich trotzend aufreckte gegen den Herrn der Welt, die Sinnlosigkeit des Weltlaufes, die mit dem verlorenen Krieg offenbar zu werden schien. Was dann in verschiedenartigen Bestrebungen hier und da wie Beseelung und Besinnung aussehen mochte, erschien vielen als das Ergebnis eines verzweifelten Kampfes wider den harten Spruch des Schicksals, und sie sträubten sich entschieden gegen die Einsicht, daß in dem allen die wohl leitende, aber auch strenge Hand Gottes wirke. Sie erhoben den Menschen zum Gott, während wieder andere glaubten, in all diesen Erscheinungen verlautbare sich Gott auf eine bisher unerhörte Weise. Wenn also Gott in unsere Welt hineinwirkt —50 sagten diese—, wenn menschliches Wirken seinen Willen zu erraten und mit ihm sich zu vereinen sucht, dann vollzieht sich allein im Leben der Nation, der Gemeinschaft oder auch des Kollektivs die große Transformation des Göttlichen ins Menschliche. Nurdies Gotterlebnis sollte gültigsein,und ihm gegenüber lud sich jede Aussage der Einzelseele über ihre Begegnungen mit Gott den Verdacht der Willkür, Selbsttäuschung und Wichtigtuerei auf. Mit dem Wort„Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ zeigt sich die Volksweisheit der Möglichkeit gewiß, daß sich im politischen Geschehen die göttliche Wirkung auf die Welt ins Menschliche transformiert. Es wäre aber vermessen, die ganze Breite des göttlichen Einflusses in dieses eine enge Bett zwängen zu wollen. Zudem steht eines Volkes Leben in der Zeit nicht unterbrechungslos’im Zeichen echter Geschichtlichkeit. Wo die unschöpferische,
tagespolitische Routine am Werke ist, wird man in ihrem leeren,
33
