Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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rung alter Irrtümer nicht untüchtig werden zum Begreifen des Neuen. Dasalte Wahre aber, laßt es nicht fahren; faßt es an! So bin ich wieder in die Gerüste gestiegen, und wenn ein Vor­übergehender in teilnehmendem Beschauen vor meinem Bau ver­weilt, so zeige ich ihm wohl auch die erneuerten Fundamente.

Kein menschlicher Bau kann im Stolz seiner senkrechten Säu­len nur immer weiter streben bis in den Himmel hinein. Wenn die tragenden Säulen bis zu einer gewissen Höhe emporgewach­sen sind, ist die Sonne des Arbeitstages schon weit über den Ze­nit hinausgegangen, und in ihrem milderen Schein ist ein erstes Ahnen des Abends. Der Bau muß beschlossen werden, und also verzweigt sich die Säule in das Bündel der Gewölberippen, das sich in Demut neigt. Von allen Seiten drängen nun die Teile der aufgelösten Säulen aufeinander hin, damit in ihrem Neigen der Bau sich langsam schließe und als Menschenwerk im Endlichen beschlossen bleibe. Und während sich die Gewölberippen nach und nach zu einem Netz verflechten, wächst unten im Schiff der Dämmer so, daß im Aufblick wohl einmal am hellen Tage die Sterne schon sichtbar werden. Da scheint das Gewölbe geschlossen zu sein mit einer blauen, bestirnten Decke, da ahnen wir, daß mit dem Schlußstein, den der Tod schon in wägenden Händen hält, der Bau dennoch ins Unendliche eingeht. Die Stellen nun, an denen die Rippen sich schneiden, die Stellen, welche in einer bedeutungsvollen und besonderen Weise der Verfestigung des Gewölbes dienen, Stellen, an denen die tragenden Kräfte sich sammeln, sie möchte ich nach dem Beispiel alter Meister in aller Demut ein wenig schmücken mit leuchtenden Farben und ge­hämmertem Gold.

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