Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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Sind sie dem Ruf der Ferne und der Freiheit nicht ganz taub geworden? So entschiedene, so törichte Fragen tat der Knabe. In einem Lande, das so schmal und klein zwischen zwei gewaltigen Meeren liegt, kann der Lockruf der Ferne nie ganz verstummen, und ein Teil seiner Menschen wird immer unruhig und aufbruchs­bereit sein. Der Knabe war aber so ungeduldig und ungerecht, weil ihm die Frage nach der Rangordnung der verschiedensten Weisen menschlichen Tätigseins vor aller Erfahrung beantwortet war durch die eingeborene Gewißheit, daß über dem Dichter kein Mensch mehr ist, sondern nur noch Gott. Und da er so allen Glanz, alle Würde und allen Adel des Lebens an das Wirken der Dichter gebunden wähnte, so erschien ihm, dem Wundersüchtigen, die Heimat von diesen Gütern ausgeschlossen. Denn wo Dichter gelebt haben, da kann keine Straße je gleichgültig und alltäglich werden, da muß vom Wandel ihrer Füße auf allen Straßen und Steigen eine helle Spur noch festlich nachleuchten, da müssen die Lüfte das Andenken ihres Atems für alle Zeit bewahren.

Über der Landschaft zwischen Neumünster und Rendsburg aber liegt es wie ein Fluch. Da ist alles alltäglich, da gibt es aus der Gebundenheit an die Forderungen des Arbeitstages keinen Ausweg in die Freiheit des Geistes, und diese Enge läßt keinen los von denen, die in sie hineingeboren wurden. Der Knabe fand nicht viel Trost in Erzählungen von bäuerlichen Astronomen, die sich aus dieser Enge doch den Weg ins Weite gebahnt hatten. Denn wenn es um die letzte, höchste Blüte des Menschengeistes geht, so ist mit Astronomen nicht viel zu beweisen,

Da war es ein rechtes Fest, den Vater in seiner Werkstatt von Christian Ralf erzählen zu hören. Diese Erzählung klang mir abenteuerlicher und atembeklemmender als der bunteste Bericht aus dem Kosakenwinter etwa oder den Jahren der schleswig­holsteinischen Erhebung. Und ob sie gleich schlicht und leise und mit einer ruhigen Heiterkeit vorgetragen wurde, schlug mir doch aus ihr die lohende Leidenschaft entgegen.|

Meinem Vater war es gegeben, die Arbeit, eine Unterhaltung und seine Pfeife gleichzeitig zu ihrem vollen Recht kommen zu lassen. Wenn er aber von Christian Ralf erzählte, so war dem_ nie rastenden Manne dieser Gegenstand so wert, daß er wie in einer Ehrerbietungsbezeugung auf den Höhepunkten seines Be­

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