Erzählung meines Vaters ihrem Ende zu. Im Frühjahr 1850 ging Christian Ralf zum Studium der indischen Sprache und Literatur nach Leipzig. Ich wußte, daß auch den jungen Goethe sein Aufbruch in die größere Welt nach Leipzig geführt hatte. Mußte nicht auch Christian Ralf von dort als Dichter heimkommen? Nun stand der Armenhäuslerjunge aus dem holsteinischen Heidedorf an der Stelle, von der auch der wohlbehütete Patriziersohn aus der reichen Stadt des milderen und schöneren Frankenlandes als Dichter aufgebrochen war. Gleiche Höhe! Da aber Christian Ralf in nicht wesentlich längerer Zeit aus den Abgründen des Elends heraufgekommen war, so erschien sein Aufstieg bewunderungswürdig steil. Das Dämonische seines Wesens hatte ihn emporgeführt an das Licht.
Hier ist das schöne, nun arg mißbrauchte Wort angebracht, das mit diesem Sinn aus der Prägewerkstatt Goethes stammt. Der Weg wahrhaft dämonischer Menschen hat die stolze Unverrückbarkeit einer Sternenbahn. In den Augen dämonischer Menschen ist nicht das irre Flackern; da ist vielmehr ein stetes, ruhiges Leuchten, aus dem das Wissen spricht um die Gravitationsgesetze des eigenen Wesens, da ist zu solchen Gesetzen ein demütigstolzes und verantwortungsfrohes Jasagen.
Christian Ralf in Leipzig, die große Hoffnung seiner Lehrer! Hier aber war im Hinzögern der Erzählung schon der schlimme Ausgang spürbar. Und doch hörte ich das Ende ohne eigentlichen Schmerz, und wir beide, Vater und Sohn, standen in tiefer Andacht vor einem heiligen Brande, der so jäh und kühn aufloderte und dann schnell in sich zusammenbrach. Aus der Ehrfurcht vor dem Menschen, in dem der Geist gewaltig und herrlich sich offenbart, nährte sich meine Andacht, und es kam mir eine fromme Ahnung von mancherlei Mißbrauch, dem sich das Wort„Freiheit“ hinleiht. Je edler der Mensch ist, desto härter und unausweichlicher ist über ihm der Zwang des Gesetzes, nach dem er angetreten. Wo das Gesetz des Geistes sich erfüllen will, da gibt es weder„ungünstige Umwelteinflüsse“ noch„widrige Umstände“.
In Christian Ralf loderte die„ungebärdige“ Flamme, der Feuer wird, was sie faßt, der Asche wird, was sie läßt. Und wenn auch die Flamme ihren Träger erfaßt und in Asche verwandelt, so kann doch die Trauer nicht aufkommen gegen den Trost der
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