Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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stellung in Mehrens Gasthof ergebenst einzuladen! Sollte Ihnen diese kleine Probe meiner Kunst gefallen haben, so bitte ich um weitere Empfehlung in Ihren Kreisen.

Das Erlebnis war erregend genug und ließ mich lange nicht einschlafen. Ich war nun groß genug, um die Fragwürdigkeit einer Existenz wie der des Professors Unruh zu durchschauen. Und daß dieser ausgehungerte Rabe sich bei seinem Flug nach Luhnstedt zielsicher und flügelschlagend auf unsere Schwelle nie­derlassen durfte, erschien mir für die Familie Peters nun nicht mehr so ehrenvoll, wie ich es noch vor kurzem gedeutet haben würde. Seine werbende Darbietung war zwar ungewöhnlich genug und mußte mich am nächsten Tag noch in der Schule mit frischem Ungestüm zur Mitteilung drängen. Da mir aber als Ver­treter des Publikums Jörn Sievers in den Sinn kam, legte ich einen Dämpfer bereit in dem Entschluß, als Berichtender alles mit der kühlen, überlegenen Beiläufigkeit des Seßhaften vorzu­bringen.

Als einen Mann, der sich um unsere Kurzweil mühte, konnte man Professor Unruh allenfalls gelten lassen. Wenn er aber von einer Probe seiner Kunst faselte, so geriet er in die Anmaßung und stempelte sich zum Narren. Wer eben in die Wunderwelt der Dramen Schillers eingedrungen ist, muß sich empören, wenn Bauchrednerei den Rang einer Kunst beansprucht. Dem zweifel­haften Professor konnte die Kunst nie erschienen sein; denn sonst hätte die Würde und Höhe dieser Begegnung dieVertraulichkeit entfernen müssen. Mit den stillschweigenden Vorbehalten mei­nes Berichtes in der Schule wollte ich auch die Anmaßung treffen. Die Entlehnungen, die ich im mimischen Ausdrucksvorrat der ganz echten Luhnstedter vorgenommen hatte, bezeichneten also keinen Verrat an der holden Kunst, sondern vielmehr eine erste Besinnung auf die Strenge ihrer Forderungen. Weniger denn je war ich zur Aufgabe meiner abweichenden Wertordnung bereit. Wenn aber trotz allem in meinem Verhalten ein Rest Feigheit nicht wegzudeuten ist, so darf ich darauf hinweisen, daß dem Schwachen in der Bedrängnis die Mimikry als Mittel der Selbst­erhaltung erlaubt sein muß.

Bald darauf schickte Rathmann aus Nortorf den neuenMeyn­Kalender. Es folgten dann, wie immer in solchen Fällen, einige

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