ger nicht. Der schmale, immer noch steigende Weg schlängelt sich hin, scheint mit jeder Biegung zu enden, bis er im allerletzten Augenblick und immer überraschend ein weiteres Stück freigibt. Man kann wohl glauben, daß sich der Wald hinter dem Wanderer wieder schließt, wie er sich vor ihm für das Bedürfnis des Augenblicks öffnet. Wie Soldaten sind die Bäume, die dem Fremdling eine Gasse durch das Lager freigeben. Sie stehen an den beiden Rändern der Gasse aufgereiht. Sonnenflecken, die sich im beschatteten Sand des Weges haschen, sind wie wohlgemeinte Soldatenspäße, die dem Vorübergehenden zugeworfen werden. Der Wanderer lächelt dazu, und doch ist ihm etwas beklommen zumute. Dies ist trotz allem schon die Fremde, und jenseits des Waldes, in Nindorf, ist die Welt dem Luhnstedter irgendwie verwandelt.
Der Forst beschreibt einen weitgeschwungenen Bogen, so daß der Luhnstedter auf seinem Wege gegen Osten nach einer kleinen Stunde wieder am Waldrand steht. Und auch hier beginnt hinterm Forst, in Brammer, die fremde Welt. Die Wälder müssen sich eine zauberdunkle Macht des Trennens bis tief in die aufgeklärten Zeiten hinein bewahrt haben.
Es hat gewiß auch große Bedeutung, daß Nindorf und Brammer außerdem anderen Kirchspielen angehören. Was nun die Dörfer ‚desselben Kirchspiels eint, ist weniger die gemeinsame Kirche als vielmehr der gemeinsame Friedhof. Die Toten zeugen für die Lebenden, und von zwei sonst gleichwertigen Bewerbern um eine Sache verdient der den Vorzug, dessen Vater oder Großvater auf dem Jevenstedter Friedhof gleich links vom großen Quersteig liegt. Kennt man von einem Menschen die Leichensteine seines Geschlechts, so gibt ihm das allgemeine Vertrauen unbesehen einen Vorsprung, den der unbeglaubigte Fremde nur durch streng überwachte und langwierige Anstrengungen aufholen kann. Der Friedhof ist ja nicht der Ort der unstörbaren Rube, auch nicht die Stätte der Verwesung, sondern die Unterwelt, in der die Toten ein anderes, ein im Sinne der Oberwelt vielleicht gemindertes Leben führen. Die Unterwelt ist mit Hauptwegen und Nebensteigen eingeteilt wie der Friedhof selbst, und überall ist Bewegung. Die guten Freunde besuchen sich bei Tage und haben ihre Gespräche wie einst, und am Abend strek
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