Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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schleppt der gehorsame Geist Vorstellungen herzu, verblaßte, unsinnliche Einzelheiten, aus denen sich aber gleichwohl eine leidlich genaue Beschreibung herstellen ließe. Wenn ich mich ganz ohne jede Hinterhältigkeit, ohne alles Lauern der Vorstel­lung hingebe, dann wird mir ihre Verwandlung als freie Gabe. Unmerklich vollzieht sich der Übergang von der Vorstellung ins Bild, und erst beim Rückfall ins Wachen weiß ich: dies war das Gesicht. Alles Vergangene kann Gegenstand einer solchen Ver­gegenwärtigung werden; aber das Haus hat den Vorrang.

Eben stand ich davor und sah mit voller sinnlicher Unmittel­barkeit die Risse in seinem Fachwerk. Das war die Stelle, an der sich ein besonders klaffender Spalt zu einem Teil mit Mörtel gedichtet fand, und der abgesprungene Teil der Füllung hatte diese sonderbare Bruchkante zurückgelassen. An ihrem verboge­nen und rostigen Nagel hing des Vaters Imkerkappe. Diese Be­schaffenheit hatte das grobe, graue Leinen, und seine Rostflecken zeigten diese Form. In solchen Augenblicken sehe ich Dinge, die das Gedächtnis ihrer Unerheblichkeit wegen unmöglich ver­wahren konnte. Diese Traumbruchstücke können sich nicht aus dem Gedächtnis nähren. Ich glaube vielmehr, daß viele Einzel­heiten meiner Erinnerung erst rückläufig aus den Gesichten des beginnenden und sofort wieder unterbrochenen Traumes ihren Weg in das Gedächtnis gefunden haben.

Den Träumen des Mannes wird das Elternhaus immer wieder zum Schauplatz, und dies geschieht, weil das Kind an vertrauten Räumen und vertrautem Hausrat in einer besonderen Weise sein Vermögen übte, die toten Dinge zu verlebendigen. Das Haus blieb eine atmende Einmaligkeit, und die Vorstellung ihrer Ver­nichtung durch Brand kam an Entsetzlichkeit fast der anderen, der ganz ungeheuerlichen vom Tod der Eltern gleich. In schlim­men Träumen erlebte ich den beginnenden Brand immer wieder auf dieselbe Weise. Es trat eine plötzliche und bösartige Stille ein, und dann begann an der Zimmerdecke ein flammenloses, giftig-grünes Glosen, das in der weißen Tünche um sich fraß wie Tinte im Löschpapier. Aber stets setzte das Erwachen dem Traum ein schnelles Ende.

Immer war die Tür des Hauses geöffnet, und immer nahm sie den Heimkehrenden mit derselben Güte ins Geborgene. Wenn

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