Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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er werde vielleicht für einen Augenblick, vielleicht gelockt durch das Aufblitzen eines Ringes, das Spiel seines Fluges unterbrechen, einen Augenblick ruhen auf der Kuppe des kleinen Fingers, einen

Augenblick die Pracht seiner Flügel hinbreiten staunendem Be­schauen.

Für die Mitteilung freilich wäre mehr gewonnen, wenn ein Finger von rauherer Berührung eine Spur goldenen Flügelstaubes bewahren und heimtragen könnte zur Untersuchung mit dem Mikroskop. Aber der Schmetterling wäre damit geschändet und scheu gemacht, und wenn du ihm dennoch je wieder begegnetest, so sähest du zu deiner Beschimung auf seinem Flügel den Makel der farblosen Stelle. Schau dir den Schmetterling gut an, wenn er sich freiwillig niederläßt! Präge sein Bild dir ein und laß es dich nicht verdrießen, wenn du von der Begegnung mit einem Lächeln, das andern getrost blöde erscheinen mag, nur immer wieder zu sagen weißt:Es war so schön.

Ich habe dich wiedergesehen, du schöne Stunde meiner frühen Kindheit! Wieder hielt sie mich umschlossen. Ihr enger, däm­meriger Raum gleicht der kleinen Kapelle, die, mit der Hälfte ihres Rundbaus noch auf heidnischen Fundamenten ruhend, ver­steckt und kaum beachtet im Schatten eines Domes aus den Zei­ten gotischer Hochblüte steht. Weite, hochgewölbte, hallende Räume schuf sich die wachsende Gemeinde; an die Gemeinde verloren, in ihr untergehend, horcht der einzelne den Offen­barungen des Geistes im Wort. Dann aber mag es wohl einmal geschehen, daß er nach der Verkündigung zu besinnlichem Wan­del hinübergeht in den Kreuzgang, daß er, halb traumwandelnd, die Brüstung tiefgreifender, spitzbogiger Fensteröffnungen über­steigt, an verwitterten, schiefgesunkenen Grabplatten vorbei­gehend, im Schatten wildwuchernden Holunders die alte Ka­pelle entdeckt, die ihn unbewußt gelockt hat, weil sie für eine Stunde durch einen Zufall unverschlossen geblieben ist. Da kreischt die Tür in rostigen Angeln, und in der alten Kapelle erlebt der Mensch die schlichte, wortlose, tiefe Ergriffenheit, die ein Glaube wohl nur in seinen umkämpften Anfängen auf dieser Erde als größte Gnade zu vergeben hat.

Vorbei ist die magische Begegnung mit dem Anfang. Vergeb­lich wäre jeder Versuch, das Erlebnis ungemindert und als ein

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