Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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Ganzes zu übertragen. Aber nun mag der Geist versuchen, ob er eine Deutung findet.

Was gab die Stunde damals dem kleinen Knaben? Sie schenkte ihm das Bewußtsein seinesIch. Und des neuen Besitzes wurde er inne, als er zum ersten Male die Zeit erfuhr. Sie hatte ihn bis­her getragen, und es war kein Unterschied gewesen zwischen ihrer Bewegung und der eigenen. Nun fühlte er sich zugleich als mit ihr treibend und doch auch als Widerstand gegen sie gestellt.

Starker Westwind schiebt das Wasser der Bucht vor sich her, treibt es hinaus ins offene Meer. Die Fische werden des Elements, das sie umhüllt, als eines ihnen selbst Fremden nicht inne. Wohl sind auch schwimmende Möwen dem Zuge nach Osten hinge­geben; aber sie können sich aus dem Wasser erheben, können aus dem wohl dünneren, doch auch tragenden Element der Luft frei hinabschauen auf den Zwang eines Strömens, dem sie sich ent­zogen haben.;

Stunde des Übergangs! Stunde der Verwandlung! Stunde der größten Entdeckung! Der Mensch taucht auf aus dem Zeitlosen und findet die Zeit, hält nun die beiden Elemente, in denen sein Weg über die Erde sich vollendet. Dem Zeitlosen, dem er in aller Bewußtheit doch nie entwachsen kann, ist er in einer so frühen Stunde noch ganz nah. Halb umgeben ihn noch die Hüllen des Mutterleibes mit ihrer warmen, traulichen Enge. Seinen Ohren ganz nahe rauscht noch der Strom des mütterlichen Blutes, der das eigene Rinnsal noch ganz und unmittelbar speist. Aber die andere, jenseitige Welt, das andere, väterliche Element des Le­bens erhebt nun seinen Anspruch auf Teilung: es erwacht der Geist und setzt die Zeit.

Vorgebildet wie der Baum im Samenkern liegen in dieser Stunde alle kommenden Wunder und Wonnen der Plantaten des Lebens im Geist.

Da aber der Geist die Zeit setzt, liegt in ihr vorgebildet neben Seligkeit und Würde auch der ganze Jammer eines solchen Le­bens: das schmerzliche Wissen um die Vergänglichkeit, das un­endliche Grauen vor dem Tode. Unentrinnbar führt den Geist eine geheimnisvolle Wahlverwandtschaft in die Bezirke des Todes.

In dieser Stunde, da das Rauschen des Mutterblutes dem wer­denden Menschen fernerrückte und für kurze Zeit ganz ver­

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