Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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stummte, in dieser Stunde wurde nach einer Sekunde vollkom­mener Stille ein neues Geräusch vernehmbar: das feine Rieseln des Sandes im Stundenglas. Gleichmäßig stürzt von nun an die Zukunft durch die Enge des gegenwärtigen Augenblicks auf den wachsenden Kegel des Vergangenen. Dies Rieseln kann in den Nächten des hohen Sommers zu einem Klingen von geheimnis­voller Schönheit werden. Dann aber wandelt es sich wieder und klingt unheimlich wie das Knistern im Gebälk eines Hauses, das der Blitz getroffen hat.

Das war wohl die Bedeutung der fernen Zauberstunde: Ge­burtsstätte der Zeit, des Geistes, desIch. Des Ich! Ist es denn aber der Mühe wert, von dieser so schwer verdächtigten, dieser im Wortsinne wie in übertragener Bedeutungabsonder­lichen, dieser in ihrer Unbotmäßigkeit so gefährlichen Erschei­nung viel Aufhebens zu machen? Dies überhebliche Ich wird in Zukunft von scharfen Augen überwacht und von starker Hand gezügelt werden. Eben jetzt liegt es, von starken Worten nieder­gedonnert, gedemütigt im Staube. Soll es immer so bleiben? Sollten wir nicht, da es die rauhe Zurechtweisung hingenommen und beherzigt hat, nun hingehen und ihm die Tröstung bringen des leisen, behutsamen Wortes, das neben dem lauten und zu­fahrenden seine Bedeutung immer behalten wird? Sollten wir es nicht aufrichten mit dem leisen Wort und ihm nach harter Buße seine Würde und sein unantastbares Recht zurückgeben?

Denn das rechtverstandene Ich ist ja nicht wesentlich Sperr­wand. Nein, überall ist es auch Tor. Wie wolltest du, Mensch, anders hineingelangen in die ummauerte Gemeinschaft des Vol­kes als durch dieses Tor? Wie kannst du den Bruder, den Bluts­verbundenen, wie den Fremden verstehen, wenn du nicht durch die Erkenntnis deiner selbst zu ihnen hinüberwandelst? Müßten dir nicht alle Wesen schemenhaft bleiben, wenn du nicht durch die unmittelbare, handgreifliche Gegebenheit deines Leibes hin­durchgehen könntest zu ihrer Leibhaftigkeit? Dein Lebensrund ist umstellt mit Leibern, die dem deinen gleichen. Wie eine lebendige Mauer schließen sie das Leben in der Zeit ab gegen eine Welt, die wir nur ahnen können, und dieser Mauer undurch­dringlichste Stelle bist du selbst. In den seltenen Stunden aber, die, umflossen vom Morgenglanz der Ewigkeit, feierlich über den

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