Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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dem Gebettel:Eenmol Nudelmüller, Modder, eenmol! In den zweifellos sehr albernen Reimereien ist meinem Ohr doch etwas von der göttlichen Allgewalt des Wortes vernehmbar gewesen, und wenn der einzelne in den stürmischen Aufstieg weniger Jahre erlebend zusammendrängen muß, was sein Geschlecht in ver­dämmernden Jahrtausenden langsam bewältigte, so stand ich vielleicht atemholend eben auf der Stufe, da jeder banale Wort­gleichklang das Herz mit der bannenden und beschwörenden Ge­walt urdunklen Zaubers trifft.Quälgeist, sagte meine Mutter, wenn dw doch erst lesen könntest! und über den Abgrund der Jahrzehnte her weht mich dies Wort an, nicht als verlorener Hin­weis auf eine zu erwerbende Fertigkeit, die das bürgerliche Leben neben vielen anderen voraussetzen muß, sondern bedeutungs­schwer als eine frühe Enthüllung meiner Lebensbestimmung. Eines Tages saß ich denn wirklich in unserer Dorfschule, und das Lesenlernen begann. Unser Lehrer mußte mehr als neunzig Kinder unterweisen, und dieser schweren Aufgabe genügte er mit so viel Eifer und Geschick, daß der Ruf seiner Schule über die Grenzen des Kirchspiels hinausdrang. Ihm mochte immer mah­nend und spornend vor Augen stehen, wie er die Ausrüstung der großen Schüler, die der Entlassung zuwuchsen, noch vervollstän­digen könne. Die sogenanntekleine Seite mußte sich mit kärg­lichen halben Stunden einer hastig betriebenen direkten Unter­weisung begnügen, und für die ABC-Schützen gar fielen nur noch Zeitbrocken ab. Stundenlang malten wir unter der Aufsicht eines größeren Schülers Buchstaben und Wörter auf die Tafel, lösten wir die Rechenaufgaben, die in Reihen an der Wandtafel standen. Was hatte diese Schule einem Kinde zu bieten, dessen Mutter schon ahnte, daß wohl die Mühe um das dichterische Wort Inhalt seines Lebens werden könne? Im Hause der Sprache waren dem Schulbetrieb, wie das nicht anders sein konnte, nur die lichten und einfachen Räume vertraut, in denen die tägliche Arbeit ge­schieht; aber verschlossen waren ihm die prunkenden Festsäle und die dämmernden Kapellen zumal, die sich geheimnisvoll über der feiernden Andacht wölben. Das Rechnen gab dem gan­zen Unterricht Rückgrat, und der Lehrer wußte wohl, daß das ganze Dorf ihm zustimmte, wenn er die Lebensaussichten eines Schülers am Grad der erreichten rechnerischen Fähigkeiten ablas.

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