Die Unterweisung hielt sich an den Gang des Rechenwerkes von Saß, das in drei Teilen vorlag. Die kleine Seite tummelte sich noch mehr kindlich-unverbindlich im„lütten“ Saß. Auf der großen Seite aber begann mit dem zweiten der volle Ernst des Lebens, und wer am Ende der Schulzeit seine„Vermischten Schlußaufgaben“ bewältigt hatte, der konnte entlassen werden mit der begründeten Hoffnung, daß er sich auch den vermischten Aufgaben des bürgerlichen Lebens bis zum Schluß gewachsen zeigen werde. In den dritten Saß aber drangen immer nur ein paar Auserwählte vor, und wer sich hier umgetan hatte, der trug beim Ausrücken ins Leben den Marschallstab im Tornister. Viele dieser Erprobten traten denn auch ins Heer ein, und wenn sie statt des Marschallstabes auch nur Feldwebellitzen aus dem Tornister hervorzogen, so kamen sie später doch in der Stadt zu geachteten Ämtern, und in Luhnstedt raunten sich die Leute mit hochgezogenen Brauen ehrfürchtig zu:„De is hoch an!“ Da war einer, der sich mit dem Titel„Garnisoninspektor“ schmücken durfte. Vor der obrigkeitlichen Gewalt, die dieses pomphafte Wort ahnen ließ, mochten wohl die Befugnisse eines Bürgermeisters von Rendsburg ins Belanglose absinken. Das Dorf staunte zur Höhe seines Sohnes andächtig empor; aber der Aufstieg wurde ihm doch halbwegs erklärlich, wenn es der frühen Heldentaten des Herrn Garnisoninspektors im dritten Saß gedachte. Dagegen war als Versager von vornherein gebrandmarkt, wer aus dem„lütten“ Saß konfirmiert werden mußte. In dieser Redensart geriet der Herrscheranspruch des Rechnens schon in die Anmaßung: noch in der Konfirmation bestritt Saß Bibel und Gesangbuch den Vorrang.
Wegen der unbedingten Vorherrschaft rationaler Bestandteile war die Bildungsluft dieser Schule der Entfaltung knospender Träume in einer Kinderseele nicht eben günstig. Auch hatte gedeihliches Wirken unter einer so großen Kinderschar eine eiserne Zucht zur Voraussetzung. Die Luft in den Schulstuben ging damals überall rauher als heute.
Und doch wagten sich beim friedlichen Abschreiben auf der „kleinen Seite“ meine scheuen Träume hervor. Oft auch horchte ich hinüber auf die große Seite und tastete mich mit empfindsamem Ohr in die hochdeutsche Sprache hinein.
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