Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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werden läßt. Schon habe ich erfahren, daß das rätselvolle Glück nur erblührt in Stille und Alleinsein. Gewiß ist der Sonntag die­sen beiden immer wohlgesinnt; aber nicht zu jeder Zeit können sie es mir verschaffen. Ein Drittes muß hineintreten in den Kreis der günstigen Umstände; ein Unsagbares muß mit seinem stum­men Zauber das Wunder der Verwandlung bewirken.

Der Lauf des Wassers allein ist ein kleines Wunder; denn ihm steht die Ferne offen. Muß nicht das Leben in Luhnstedt einem Tümpel verglichen werden, aus dem es kein Entrinnen gibt? Immer gehen dieselben Menschen in denselben alltäglichen Klei­dern die Dorfstraße hinauf und herunter, immer rattern die­selben rotgestrichenen Bauernwagen über das Pflaster. Nie bringt ein goldener Wagen prunkvoll gekleidete Prinzen und Prinzes­sinnen, die unser Leben von Grund auf ändern. Im vorigen Herbst erlebte ich die geräuschvolle Herzlichkeit, mit welcher der Heimkehrer Hans Staben auf seinem ersten Gang durch das Dorf überall begrüßt wurde. Hans Staben hat zwei Jahre in Ber­lin bei der Garde gedient, durfte in prächtiger Uniform dem Kai­ser täglich nahe sein, und doch schien er damals seines verblichenen blauen Arbeitskittels und der Rückkehr in den Luhnstedter Tüm­pel von Herzen froh zu sein.

Aber mein Bach weiß von keinem Verweilen. Immer ist er unterwegs, und wenn im Oktober der starke, anhaltende Regen einsetzt, zeigt sein Drang in die Ferne ein besonderes Ungestüm, Dann weitet er sich vor meinen Augen zum Strom, und meine selbstgebauten Schiffe wachsen ins Riesenhafte. Auf der Brücke des schönsten und größten steht herrscherlich ein entschlossener Mann, den ich sehr wohl kenne, und also sehe ich meiner eigenen Ausfahrt zu. In solchen Zeiten steht die Straßenbrücke mit den auseinanderlaufend vorgebauten Feldsteinmauern wie mit auf­gesperrtem Maul da. Trotzdem kann sie nur mit Mühe aufnehmen, was ihr zu schlucken zugemutet wird, und hier muß ich meiner Ausfahrt schon wieder ein Ende machen, weil sonst die eisernen Brückenträger meinen Schiffen die Masten knicken würden.

Heute fließen die Wasser hochsommerlich spärlich, und das tatendurstige Ungestüm ihres Dranges in die Ferne ist einer stil­leren und mehr träumerischen Unbeirrbarkeit gewichen. Am jen­seitigen Ufer drängt sich zusammen, was auch im Sommer noch

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