Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
48
Einzelbild herunterladen

an Vergangenes über das Bewußtsein hinhuschen wie Wolken­schatten über ein sonnbeschienenes Feld? Das Vollkommene steht still, weil es kein Ziel kennt. Aber nie steht der Bach still und kaum je die Zeit, und jeder Augenblick ist in sich selbst nichts als Brücke, die zum nächsten hinüberführt. Das Ungewisse lauert. Alles Zukünftige ist wie dort drüben die dunkle Höhle unter Jochens kleiner Brücke. Der Eingang ist fast ganz verwachsen| mit dem Bittersüß, dessen Blütenfarbe mir wohl gefallen kann, der aber doch, wie ich mit einem Schauder erfahren habe, eine| Giftpflanze ist. Giftpflanzen schließen die Höhle, die mit un­heimlichem Dunkel Brutstätte sein muß giftigem Gewürm. Bitter­süße Träumereien überwuchern mir jedes Tor in die Zeit. Die Angst! Die Angst!|

Es gibt Menschen, die uns das Leben schön und heimelig machen mit Märchen und Liedern, mit Geschichten aller Art. Sie heißen| Dichter, und es ist mir von jeher eingeboren gewiß, daß über dem Dichter kein Mensch mehr ist, sondern nur noch Gott. Der Dich-| ter steht über dem Alten Fritz, über Blücher, über dem Kaiser, steht auch über Bismarck trotz der ragenden Höhe seiner Gestalt.| Dichter sammeln um sich die Menschen, die guten Willens sind,| und vereint schaffen sie die lichte Welt, in der es keine Angst| gibt. Aber dann sind da die anderen, die Boshaften von Anbe­ginn, die nach anderem nicht trachten als der Zerstörung der schönen Welt. In ihren Reihen müssen doch wohl auch die So­zialdemokraten stehen; denn von ihrem dunklen Treiben spre­chen die Männer in der Werkstatt meines Vaters denn doch zu anhaltend und mit zu ernsten und besorgten Gesichtern.

Im Juni dieses Jahres 1898 ist ein neuer Reichstag gewählt worden. In vielen Wochen vor dem Ereignis hatte sich in mir| wegen des seltsamen Gebarens der Erwachsenen die Überzeugung befestigt, Himmel und Erde bangten jetzt um ihren Bestand. Ich glaubte bestimmt, daß am Morgen nach der Wahl des Sozial­demokraten keine Sonne mehr aufgehen werde. In den Gesprä­chen der Erwachsenen kam sehr oft auch der Name Bismarck im Zusammenhang mit diesen Unholden vor. Und es war wohl zu vernehmen, Bismarck allein wisse ihnen noch zu begegnen. Also wurde er der Gewaltige, der mit seinem Kürassiersäbel die Welt der Dichter und der guten Menschen schützt gegen die Bedrohung

48