viel er nur immer mochte, hatte mir nie den brennenden Wunsch vom Auge gelesen. Er war ein mürrischer Mensch, und doch konnte er in den kurzen Gesprächen mit meinem Vater so voll Abscheu von Sozialdemokraten reden, als sei ihm an der Erhaltung der guten, der lachenden Welt sehr gelegen.
Ich war tief verwirrt und hatte ein dunkles Gefühl, die wirk
liche Welt müsse noch viel krauser sein als die schon krause Welt,_
die ich aus den Reden der Erwachsenen erahnte. Die Sozialdemokraten konnten doch wohl nicht so einfach schlechte Menschen sein. Einer von ihnen hatte mir einen Festtag bereitet, und sie hatten doch auch ihre Freude am ersten Grün der Buchen.
Dann aber kam die Wahl, und die Großen beredeten erregt den Erfolg des Sozialdemokraten, sprachen davon in einem Ton
fall, aus dem ich ein Entsetzen heraushörte, das in Wirklichkeit
gar nicht vorhanden war. Nun müsse die Stichwahl kommen, hieß es, ja, und wenn Bismarck...! Stichwahl! Ein fürchterliches Wort! Das Blut floß in Strömen, und die schöne Welt der Dichter und Gutgesinnten war nun doch so bedroht, daß Bismarck ihre Feinde mit seinem gewaltigen Kürassiersäbel niederstechen mußte.
Aber eines Tages war die Beklemmung vorbei. Ich durfte auf
atmen, meinen Sinn befreien von allen quälenden Gedanken, weil nun doch der Freisinnige gewählt war, der Schützer der schönen Welt.———
Dies geschah vor mehr als einem Monat, und für einen achtjährigen Knaben ist das eine unendlich lange Zeit. Die Gefahr ist vorübergegangen wie jene andere, mit der mich im Winter die zehnjährige Tochter unseres Nachbarn Jochen ängstete. Sie flüsterte mir im Vertrauen ein, daß die Welt im Jahre 2000 bestimmt untergehen werde, und wußte mir klarzumachen, daß uns bis zum schauerlichen Untergang nur noch zwei Jahre gegeben waren. Nach einigen Wochen jedoch hatte sich mir das Dunkel_
über dem dekadischen Zahlensystem einigermaßen gelichtet, und
ich erkannte nun, daß Lena den Weltuntergang um hundert_ Jahre vordatiert hatte. In der Zwischenzeit aber war ich mit
meiner Angst allein, zum Schweigen verpflichtet durch ein dunk
les Gefühl, nach welchem dem Worte die Zauberkraft verliehen ist, in die Wirklichkeit zu rufen, was bislang noch wesenlos an
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