Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
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viel er nur immer mochte, hatte mir nie den brennenden Wunsch vom Auge gelesen. Er war ein mürrischer Mensch, und doch konnte er in den kurzen Gesprächen mit meinem Vater so voll Abscheu von Sozialdemokraten reden, als sei ihm an der Erhal­tung der guten, der lachenden Welt sehr gelegen.

Ich war tief verwirrt und hatte ein dunkles Gefühl, die wirk­

liche Welt müsse noch viel krauser sein als die schon krause Welt,_

die ich aus den Reden der Erwachsenen erahnte. Die Sozialdemo­kraten konnten doch wohl nicht so einfach schlechte Menschen sein. Einer von ihnen hatte mir einen Festtag bereitet, und sie hatten doch auch ihre Freude am ersten Grün der Buchen.

Dann aber kam die Wahl, und die Großen beredeten erregt den Erfolg des Sozialdemokraten, sprachen davon in einem Ton­

fall, aus dem ich ein Entsetzen heraushörte, das in Wirklichkeit

gar nicht vorhanden war. Nun müsse die Stichwahl kommen, hieß es, ja, und wenn Bismarck...! Stichwahl! Ein fürchter­liches Wort! Das Blut floß in Strömen, und die schöne Welt der Dichter und Gutgesinnten war nun doch so bedroht, daß Bis­marck ihre Feinde mit seinem gewaltigen Kürassiersäbel nieder­stechen mußte.

Aber eines Tages war die Beklemmung vorbei. Ich durfte auf­

atmen, meinen Sinn befreien von allen quälenden Gedanken, weil nun doch der Freisinnige gewählt war, der Schützer der schönen Welt.

Dies geschah vor mehr als einem Monat, und für einen acht­jährigen Knaben ist das eine unendlich lange Zeit. Die Gefahr ist vorübergegangen wie jene andere, mit der mich im Winter die zehnjährige Tochter unseres Nachbarn Jochen ängstete. Sie flü­sterte mir im Vertrauen ein, daß die Welt im Jahre 2000 be­stimmt untergehen werde, und wußte mir klarzumachen, daß uns bis zum schauerlichen Untergang nur noch zwei Jahre gegeben waren. Nach einigen Wochen jedoch hatte sich mir das Dunkel_

über dem dekadischen Zahlensystem einigermaßen gelichtet, und

ich erkannte nun, daß Lena den Weltuntergang um hundert_ Jahre vordatiert hatte. In der Zwischenzeit aber war ich mit

meiner Angst allein, zum Schweigen verpflichtet durch ein dunk­

les Gefühl, nach welchem dem Worte die Zauberkraft verliehen ist, in die Wirklichkeit zu rufen, was bislang noch wesenlos an

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