Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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Christian Ralf senkte den Kopf und sagte weder ja noch nein. Als aber Vadder Bock zum erstenmal die Vollstedter Schulstube betrat, da stand, wie einst in Seedorf, der Junge wieder an der Tür, weinend und schuldbewußt. Da tat auch ein gewaltiger Zornesausbruch des Verfolgten nicht weitere Wirkung, als daß die Tränen des Jungen versiegten und in sein Gesicht ein Aus­druck von Verstocktheit trat. Was war da zu machen? Vadder Bock redete mit seiner Frau, redete ihr gut zu. Und so wurde der Knabe von nun an der Hausgenosse der Lehrersleute. Am Ende hatte man wohl auch die Verpflichtung, dem guten Gott durch eine Tat der Barmherzigkeit zu danken für die schöne Stelle in Klein-Vollstedt. Und da Christian Ralf sich nun einmal vor­genommen hatte, etwas zu lernen, war ohnehin Widerstand nicht mehr von großem Wert.

Er wußte die wie unverrückbar starr festliegenden Wege seines äußerlich armseligen Lebens mit seinen kleinen Fäusten so zu­rechtzubiegen, dieser Junge aus Eisendorf, daß sie in die Richtung seines Zieles wiesen. Was hätte ihn denn nach dem natürlichen, und viele Menschen werden gesagt haben, dem gottgewollten Lauf der Dinge erwartet? Er hätte als Hütejunge auf einem Bauernhof sein Leben fristen müssen. Nun saß er in dem stillen, friedevollen Schulmeisterhause und konnte lernen, unbehelligt durch lästige, zeitraubende Pflichten. Vadder Bock war immer da, und wenn er sich einmal dem unermüdlichen Frager entzog und entziehen mußte, so gab es Bücher. Gewiß hat der Dorfschul­lehrer nicht eigentlich eine Bibliothek besessen; aber für Chri­stian Ralf lag damals noch in Wenigem Unendliches beschlossen.

Nach langem Kreisen und nervösem Zittern über allen Him­melsrichtungen der Windrose blieb in dieser ruhigen Zeit die Magnetnadel stehen: Christian Ralf hatte den Pol seiner geisti­gen Welt gefunden. Er, der Umschau haltend, sich langsam im Kreise gedreht und überall Wunder gefunden hatte, kam nun vor dem Wunder aller Wunder zur Ruhe: vor der Sprache. Er wußte, wo seine Lebensarbeit lag.

Nun nahm sich auch der Pastor in Westensee seiner an, und nach kurzer Zeit war er tief in die Geheimnisse des Griechischen und Lateinischen eingedrungen. Der Willensharte hatte nicht nur den Lehrer, sondern auch den geistlichen Herrn seinen Ansichten

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