Teil eines Werkes 
Bd. 2 (1958) Prosa
Entstehung
Seite
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geheuerliche Vermessenheit dieses Knabenplanes. Christian Ralf, unehelicher Sohn der Stutenfrau Stina Ralf in Eisendorf, hatte womöglich die Absicht, sich dereinst in das schmucke Westenseer Pastorat zu setzen. Da war es nur ein Glück, daß der Junge es für heute mit dieser Enthüllung bewenden ließ; Vadder Bock hätte sonst um jede Fassung kommen können.

Der Beruf eines Eisenbahnbeamten war also mit aller Un­bedingtheit abgelehnt. Es blieb dem Lehrer nichts übrig, als unter einflußreichen und vermögenden Leuten für den Gedanken zu werben, daß Christian Ralf ein Gymnasium besuchen müsse. Mit dem Pastor von Westensee verabredete er, den Jungen vorläufig einmal nach Nortorf zum Propsten gehen zu lassen, damit er auch dort Anteilnahme wecke. Der Propst war ein breiter, ge­waltiger, selbstsicherer Mann; aber die beiden Verschworenen waren überzeugt, daß der schmächtige Junge mit dem unbeug­samen Willen auch ihn überwältigen werde.

In der Erzählung meines Vaters war die Schilderung dieses Besuches in Nortorf ein Höhepunkt, vielleicht der Höhepunkt. Christian Ralf, der frühzeitig von Klein-Vollstedt aufgebrochen war, stapfte zur Zeit des Frühstücks verlegen in das Studierzim­mer des Propstes. Im Angesichte des ehrwürdigen Herrn und der unermeßlich vielen Bücher griff er, nach seinem Anliegen be­fragt, doch eingeschüchtert auf seine alte Formel zurück und bekannte, etwas lernen zu wollen. Da folgte denn ein Gang durch verschiedene Wissensgebiete, besonders aber wurden die etwa schon vorhandenen Kenntnisse des Lateinischen und des Griechischen nachgeprüft. Heimtückisch führte der geistliche Herr den Schüler bald von ausgetretenen Pfaden seitab ins Dornge­strüpp grammatischer Kniffeligkeiten. Christian Ralf wand sich wie ein Gaukler hindurch, und beide gerieten in edlen humani­stischen Eifer.

Es war ihnen unterweilen wie aus weiten Fernen ins Ohr, aber eben auch nicht weiter gedrungen, daß die Frau Pröpstin schon vor längerer Zeit zum Frühstück gerufen hatte. Nun er­scholl zum zweiten Male, schon mit einem Unterton leiser Unge­duld, der mahnende Ruf:Der Kaffee ist schon beinahe kalt. Ich komme, ich komme, gab der Propst flüchtig zurück, aber sofort verlor er sich mit dem sonderbaren Dorfjungen wieder in

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