Bock fühlte zu seinem Entsetzen, daß sein ehemaliger Schüler den Kopf voll hatte von weiteren, abenteuerlichen Plänen, über die vorläufig nichts Genaueres zu erfahren war.
Der überhebliche Lateinschüler benutzte die ihm bescheinigte außergewöhnliche Kenntnis der alten Sprachen in Gesprächen mit Vadder Bock leider dazu, Doktor Martinus Luther, dem verehrten Gottesmann, ungenaue Übersetzungen des Bibeltextes nachzuweisen. An derart strittige Stellen der Heiligen Schrift schloß er gern Betrachtungen an, die mit Religion nichts mehr zu tun hatten. Als ob das heilige Gotteswort ein Gerät wäre, gerade gut, daß vorlaute Jungen daran halsbrecherische Denkübungen vornehmen! Als ob es nicht mehr, wie Jahrhunderte lang, den Menschen gegeben wäre zur Erbauung demütiger, schlichter Gemüter! Vadder Bock mag zumute gewesen sein wie einer braven Henne, die ein Entenei ausgebrütet hat und nun sehen muß, wie sich das Junge mit Lust in ein fremdes, unheimliches und gefährliches Element stürzt. Er verfehlte auch nicht, dem eifernden Jüngling die Keckheit seines Urteils in Angelegenheiten des Gotteswortes mit wahrem Schmerz vorzuhalten. Dann sagte Christian Ralf nur:„Ich suche die Wahrheit.“ Und dabei sah er den alten Mann mit so begeisterten, reinen Augen an, daß dieser beruhigt war und dem grundgütigen Gott das Heil dieser leidenschaftlichen, bestürmten Seele mit großem Vertrauen empfahl.
Außerhalb solcher Kümmernisse bewunderte der Dorfschullehrer seinen Pflegesohn und war auf ihn gebührend stolz. Was der alles in seinem Kopfe trug! Nicht nur, daß er sich in den Labyrinthen des Griechischen und Lateinischen mit nie versagender Sicherheit bewegte, er sprach viel auch von einer noch fremderen, noch ferneren, noch unendlich geheimnisvolleren Sprache, deren Erforschung im Abendlande erst vor wenigen Jahrzehnten eingesetzt hatte: er sprach vom Sanskrit. Da sah der alte Mann, der ihm gegenüber saß, mit tiefem Schmerz den lieben Sohn in nicht ferner Zukunft aus dem eigenen, geborgenen Lebenskreis vollends verschwinden und wie in Entrückung hinauswandeln in die große Bedrohtheit, die das Los des Außergewöhnlichen ist.
Die Reifeprüfung war herangerückt. Wieder einmal mußte mit Sorge an die zu beschaffenden Gelder gedacht werden. Christian Ralf aber ließ sich dadurch nicht niederdrücken, und als
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